Falsche Perspektiven eines grundsätzlichen Wandels in der Hochschulpolitik

Aus dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen ist Mitte Mai ein Referentenentwurf für ein Landeshochschulgesetz bekannt geworden, der einen grundsätzlichen Wandel im Verständnis von Hochschulen in der nordrhein-westfälischen Hochschulpolitik markiert. Management, Profilbildung, Wettbewerb, Konkurrenz und leistungsbezogene Mittelvergabe fließen in einen lange geplanten Gesetzentwurf ein, ob in der stärkeren Hierarchisierung mittels anders verteilter Entscheidungskompetenzen (§ 5) oder der Ausweitung leistungsbezogener Mittelvergabe (§ 6) unter Berücksichtigung der Evaluation (§ 4). Die notwendigen inneruniversitären Auseinandersetzungen um die gesellschaftlichen Aufgaben von Wissenschaften und um die endlich zu realisierende Demokratisierung der Hochschulen (als Partizipation aller Hochschulangehörigen) werden aber zugunsten eines betriebswirtschaftlichen Denkens zurückgestellt. Die Art und Weise, wie im Referentenentwurf Entscheidungen schneller gefunden werden sollen, und die so begründete Deregulierung führen nur zu einer Stärkung hierarchischer Strukturen. Dies liegt an dem strukturell falschen Weg, Kommunikation und Verständigungsprozesse von Entscheidungen zu entkoppeln. Neben der Stärkung undemokratischer (betriebswirtschaftlich orientierter) Verwaltungsstrukturen wirkt sich hier dann auch die fehlende Neuorientierung des Gesetzentwurfes in den nicht verwaltungstechnischen Bereichen aus: so fehlen neue inhaltliche Konzeptionen in den Bereichen Projektstudium, Studienreform, Weiterbildung oder Frauenförderung.

In diesem Zusammenhang dient auch die Zusammenlegung von Universitäts- und Fachhochschulgesetz faktisch der Abschaffung eines modernen Gesamthochschulkonzeptes (siehe A.3: Annäherung statt Wettbewerb): die konstruierte Trennung von Praxis- und Theorieorientierung, von Forschungs- und reinem Lehrauftrag an den Fachhochschulen reproduziert jene undurchlässige, ständische Hochschullandschaft, deren Reformbedürftigkeit doch gerade der Ausgangspunkt einer sinnvollen Reformtätigkeit sein müßte.

In die falsche Richtung weist auch das unreflektierte Übernehmen vor allem in anglo-amerikanischen Ländern eingeführter Studiengänge in das deutsche Hochschulsystem (siehe C.4: Studienabschlüsse). Gerade der Bachelor- und der Master-Abschluß, die Lehrevaluation und die Studierendenwerbung durch die Hochschulen lassen die Studierenden als KundInnen eines Dienstleistungsunternehmens erscheinen. Die Studierenden als Kunden, das konterkariert nicht nur den staatlichen Bildungsauftrag; es unterstützt zudem jene Definitionsmacht ökonomistischen Denkens und Handelns, welcher gerade in den Hochschulen alternative, von den gesellschaftlichen Interessen her weitergefaßte Modelle entgegenstehen sollten. Ökonomistisch-vereinheitlichte Hochschulen reproduzieren den status quo, anstatt ihn zu hinterfragen und in neue Richtungen zu entwickeln. Dadurch verstärkt, daß die Evaluation in die Lehr- und Forschungsberichte eingehen kann, ist in der betriebswirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistungshochschule der Weg zu lediglich an der Verwertbarkeit orientierten Mainstreamwissenschaften gewiesen, flankiert von einem Finanzierungssystem, das sich leicht als Sanktionsmechanismus entpuppen kann (siehe D.1 Hochschulfinanzierung).

Besonders erkennbar wird das neue Bild von Studierenden und den Hochschulen in § 3, in dem nicht die partizipatorischen Rechte festgeschrieben werden, sondern nur die passiven Pflichten der Studierendenabsicherung angesprochen sind. Ein Artikel hingegen, der Studienziele oder auch die eigenverantwortliche Arbeit der Studierenden betonte, wie es das alte Hochschulrahmengesetz noch tat (§ 8, HRG 1985), findet sich nun gerade nicht im vorgeschlagenen neuen Länderrecht. Damit allerdings dürfte dem Argument begegnet sein, man könne die im Rahmengesetz angeblich sinnvollerweise nicht länger zu regelnden Partizipationsrechte um so eher auf der Länderebene sichern. Die Praxis spricht hier eine kraß andere Sprache, macht deutlich, daß einmal aufgegebene Mindeststandards an Rechtspositionen nicht bereitwillig auf den jeweils nachgeordneten Ebenen gesichert werden. Wo dann im Referentenentwurf Kompetenzverlagerungen von Landes- auf Hochschulebene angedacht werden, sollte man sich gerade diese Erfahrung zunutze machen. Nur in der 'aufgeklärtesten aller Welten' darf man wohl darauf hoffen, daß sich auf Hochschulebene demokratische Rechte sichern lassen; in einer vom Konkurrenzkampf und von einer auf das Ökonomische reduzierten Effizienz geprägten Realität hingegen gilt auch in bezug auf die demokratische Teilhabe die Logik des Kapitals.

Derartigen Perspektiven fügen sich die nur zögerlichen Verbesserungen im Bereich der Hochschulgremien ein (§ 24 Kuratorium; § 13 Sitz und Stimme; § 21 Senat). Vorsichtige Eingriffe in die Sitzverteilungen als große Demokratisierungen zu feiern ist sinnlos, wenn die demokratisch gewählten Gremien, statt mit weitergehenden Entscheidungskompetenzen betraut zu werden, mit realen Funktionseinbußen zu rechnen haben und wenn gleichzeitig die Macht einzelner Funktionsträger (Rektor, Dekan) noch weniger auf deren Exekutivfunktionen beschränkt bleibt.

Der seit der HRG-Debatte offensichtliche hochschulpolitische »Richtungswechsel« hat dann auch die Vorgehensweise in der Gesetzesvorbereitung und speziell in der Entstehung des Referentenentwurfs bestimmt. Damit wird deutlich, daß hier ein neuer Grundkonsens unterschiedlicher politischer Parteien aufgebaut wird, der eine starke Opposition inner- und außerhalb der Parteien um so notwendiger macht. Während in den Gesprächskreisen zur Funktionalreform studentische Perspektiven deutlich artikuliert wurden, blieben sie in den verschriftlichten Ergebnissen (Funktionalreform an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen; Leitlinien zur Funktionalreform) nahezu unberücksichtigt. Es ist zynisch, wenn die Ohnmacht bestimmter Gruppen der Hochschulmitglieder mit dem Deckmantel eines folgenlosen Kommunikationsprozesses bedeckt wird, diesen Gruppen aber dann zudem mangelnde Einsatzbereitschaft vorgehalten wird. Demokratie als die größtmögliche Autonomie der Vielen wird so über die hochschulinterne Praxis hinaus beschädigt. Die so reformierten Hochschulen können ihrer Demokratie fördernden Aufgabe nicht mehr nachkommen.

Falsch sind die Perspektiven nicht nur aus demokratiepraktischer und demokratietheoretischer, sondern auch aus langfristig politisch ökonomischer Sicht. Der wachsende Einfluß der Nachhaltigkeitsdebatte, verbunden mit der Förderung des tertiären Sektors und der arbeitsintensiven regionalen Wirtschaftskreisläufe (Rückbindung der Weltmarktsektoren an die regionalwirtschaftlichen Wertschöpfungskreisläufe) macht eine bessere Vernetzung von Hochschulen, Staat und Gesellschaft notwendig. Eine in andere Richtungen und anderen Dimensionen als im vorliegenden Referentenentwurf zu denkende Hochschulreform ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine langfristige Modernisierung der Gesellschaft. Gerade wenn es den Hochschulen möglich werden soll, ihrer besonderen Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft gerecht zu werden. Dazu bedarf die Arbeit an Reformen eines breiten Bündnisses für eine andere Hochschulpolitik, anders als sie sich im parteienübergreifenden Konsens über eine betriebswirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistungshochschule abzeichnet.