In der hochschulpolitischen Reformdebatte der 1970er Jahre standen die Ziele im Vordergrund, Theorie- und Praxisbezug zu verbinden, Interdisziplinarität zu schaffen, die Hochschulen zu demokratisieren, eine größere Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen herzustellen und die Hochschulen für alle Bevölkerungsschichten zu öffnen. Dabei waren die neugegründeten Fachhochschulen nur als vorläufige Einrichtungen gedacht, die letztendlich mit Universitäten unter dem Dach von Gesamthochschulen zusammengefaßt werden sollten.
Die damaligen Ziele sind bis heute nicht erreicht. Häufig genug gibt es sogar Rückschritte, so bei der Zementierung der Vorstellung von der »anwendungsbezogenen« Fachhochschule und der »theoriebezogenen« Universität. Der Referentenentwurf faßt jetzt erstmals Fachhochschulgesetz und Universitätsgesetz zusammen, gibt dabei allerdings das ehemalige Ziel fortschrittlicher nordrhein-westfälischer Hochschulpolitik auf, indem er die Gesamthochschulen quasi durch die Hintertür verabschiedet.
Der Entwurf sieht weiterhin eine Trennung der Hochschultypen vor, obwohl eine sichtbare Nivellierung der Unterschiede stattfinden soll (§ 3 Abs. 2, § 85 Abs. 3). Diese Nivellierung geschieht zum einen, indem beide Hochschultypen die gleichen Studienabschlüsse (Bachelor) anbieten, zum anderem durch den Forschungsauftrag für die Fachhochschulen. Im Zuge der dadurch verstärkten Profilbildung geht es nicht mehr nur um die Konkurrenz zwischen Universitäten oder zwischen Fachhochschulen, sondern es geht um eine allgegenwärtige Konkurrenz aller Hochschulen um Drittmittel, staatliche Finanzierung und Studierende. Der weitergehende Wunsch, der dahinter steckt, ist allerdings nicht eine gleichberechtigte Hochschullandschaft zu schaffen, sondern implizit mit betriebswirtschaftlichen Mitteln Eliten zu fördern und dabei auch noch Geld für das Land einzusparen. Denn: »Nicht mehr Geld für Reformen, sondern mehr Reformen fürs Geld«, so heißt es in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Wolfgang Clement. Die »Konzentration und Erneuerung« (Gabriele Behler), die die Schließung von Fachbereichen an einzelnen Universitäten vorsehen, ist ähnlich denen der Schulen mehr Mangelverwaltung als alles andere (Schulen, an denen naturwissenschaftliche LehrerInnen fehlen, nennen sich nun einfach »geisteswissenschaftlich-orientiert«) .
Die Konkurrenz zwischen den Hochschulen landes- oder gar bundesweit zu propagieren, ist jedoch ideologische Polemik, da 70 % aller Studierenden innerhalb ihres Landes und ein Großteil davon in ihrer Region studieren. Das heißt, eine Konkurrenz gibt es nur um und eine Auswahl nur für reiche Studierende, die sich einen Umzug bequem leisten können. Diese Konkurrenzsituation führt deutlich zu einer Verschlechterung des gesamten Hochschulstandortes NRW.
Der soziale Ausgleich zwischen den Regionen wird behindert statt gefördert. Zusätzlich gibt es eine Entwicklung zu stärkerer sozialer Selektion. Dies widerspricht der jahrzehntelangen nordrhein-westfälischen Hochschulpolitik. Dabei besitzen die Gesamthochschulen die Möglichkeiten, obige Ziele zu verwirklichen, wie noch 1995 auch von der damaligen Ministerin Anke Brunn festgestellt wurde; wenn inzwischen anders argumentiert wird, zeigt das den ganz offensichtlichen Paradigmenwechsel (siehe Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW (Hrsg.), Gesamthochschulen. Universitäten der Zukunft, Düsseldorf 1995).
Innovativ wäre gerade jetzt, unter den Anforderungen einer breiten Hochschullandschaft, die gut 25-30 % eines Jahrgangs an sich bindet, die Ziele der stärkeren Interdisziplinarität und des sinnvollen Theorie-/Praxisbezugs unter einem Dach zu verwirklichen. Dies würde auch den ausdifferenzierten Wünschen der Studierenden entsprechen, die je nach persönlicher Neigung zwischen mehr berufsqualifizierendem und wissenschaftlich orientiertem Abschluß erst während des Studium entscheiden wollen. Flexibilität ist auch so nur für künftige Hochschulreformen vorhanden, neue Fächer zu schaffen: ein Kahlschlag hingegen muß einen politischen Kardinalfehler begehen, den der Irreversibilität.
Die Trennung zwischen den Hochschultypen bleibt zusätzlich fragwürdig, weil schon heute Universitäten den Bezug zur Praxis suchen und die Fachhochschulen theoretische Konzepte bearbeiten. Die Idee der Gesamthochschule gehört deshalb wieder auf die Agenda einer Hochschulpolitik für das nächste Jahrhundert. Die Fehler, die in den 1970er Jahren bei der Errichtung von Gesamthochschulen gemacht wurden, dürfen natürlich nicht wiederholt werden. Zu nennen sind hier u.a. die Widersprüche zwischen integrierten und kooperativen Modellen, die finanziellen Mängel, die alternative Lehrformen fast unmöglich machten, die starken Differenzierungen innerhalb der Gesamthochschulen und die unveränderte Besoldungsstruktur, die ungleiche Entlohnung bei gleicher Leistung vorschrieb (siehe u.a. Weizsäcker, Möglichkeiten und Grenzen der Gesamthochschule aus: Kasseler Hochschulwoche, Symposium, Die Gesamthochschule heute, Kassel 1976, S. 178 ff.).
Auf Bundesebene wurde der Gesamthochschul-Errichtungsgrundsatz 1985 mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes gestrichen. In NRW soll der Gesamthochschulgedanke nun mit der Novellierung der Landeshochschulgesetze fallen.
»Die hochschulpolitische Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die Gründung weiterer Gesamthochschulen nicht erforderlich ist, um die Hochschulstrukturreform einschließlich der Studienreform voranzubringen. Der Programmsatz zur Errichtung weiterer Gesamthochschulen hat deshalb seine ursprüngliche Bedeutung strukturpolitisch und praktisch verloren.« (Begründung § 7)
Das Gegenteil ist der Fall. Die Ungleichheit von Universitäten und Fachhochschulen wird insbesondere von den Universitäten forciert: Promotionsrecht haben nur die Universitäten, was die Fachhochschulen gleichzeitig der Möglichkeit enthebt, ihren eigenen Nachwuchs auszubilden; FachhochschulabsolventInnen können nach hervorragendem Examen nur an einer Universität promovieren; Fachhochschulen waren grundsätzlich finanziell schlechter ausgestattet als Universitäten - dies hat sich erst im Laufe der 1990er Jahre verändert; im öffentlichen Dienst ist FachhochschulabsolventInnen der Zugang zum höheren Dienst grundsätzlich verwehrt; studentische Hilfskräfte an Fachhochschulen erhalten für die gleiche Tätigkeit eine geringere Entlohnung als an Universitäten.
Mangelnde Interdisziplinarität, wenig ausgeprägte alternative Lehr- und Lernformen und fast nicht vorhandene Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Studiengängen machen eine Studienstrukturreform, die vom Modell einer integrierten Gesamthochschule mit modularisierten Studiengängen ausgeht, heute nötiger denn je (siehe C.3 Qualitative Studienreform).