Weiterbildung

Im Bereich der regulären Aufgabenbestimmung der Hochschulen ist der Referentenentwurf gegenüber dem geltenden UG, bezogen auf die Weiterbildung, unverändert geblieben (§ 3 Abs. 4). Was hier als "weiterbildendes Studium" benannt ist, wird im Referentenentwurf dann konsequent unter dieser Bezeichnung wieder aufgenommen: "Weiterbildendes Studium" ist der entsprechende Paragraph überschrieben (§ 90), wo es im UG noch unspezifisch "Weiterbildung" (§ 89) hieß. Die zielperspektivische Formulierung ("sollen ... entwickeln und anbieten", § 89 Abs. 1) ist dem erreichten Entwicklungsstand angepaßt, wenn es heißt: "Die Hochschulen bieten im Rahmen ihrer Aufgaben Möglichkeiten der Weiterbildung an."

Doch viel mehr wird vom Referentenentwurf nicht als Rahmen festgeschrieben. Die entsprechende Begründung versteht sich innerhalb der Deregulierungsbemühungen: "Der Inhalt des weiterbildenden Studiums muß und kann nicht durch den Staat vorgegeben werden. Zum einen gibt es keinen festen Begriff der Weiterbildung. Zum anderen liegt es in der fachlichen Kompetenz der Hochschule, Inhalte, Anforderungen und Organisationsformen für die Erneuerung und Erweiterung der wissenschaftlichen Qualifikation berufstätiger HochschulabsolventInnen und anderer geeigneter Personen (mit berufspraktischer Qualifikation, auch ohne formale Hochschulzugangsberechtigung über die Allgemeine Hochschulreife) zu bestimmen. Die Vorschriften des § 89 Abs. 2 UG und des § 59 Abs. 2 FHG können also entfallen." (Begründung § 90) Wie hier Kompetenz nur im engen Rahmen definiert und dann den Hochschulen zugeschrieben wird, ist die Chance versäumt, einmal strukturell die Konsequenz aus dem zu ziehen, was bildungspolitisch als 'lebensbegleitendes Lernen' gefordert wird und doch mehr heißen sollte, als die Arbeitskraft zu optimieren. Das Weiterbildende Studium als Teil der Beruflichen Weiterbildung kann durch die im Referentenentwurf angelegte Verkürzung der Problemstellung nicht in seinem sozialen, nicht in seinem arbeitsmarkt- und arbeitszeit-/ tarifpolitischen, also eben nicht in seinem gesellschaftlichen Stellenwert gesehen werden.

Die Integration und der funktionsbestimmte Ausbau der Hochschulmöglichkeiten in diesem Bereich (Weiterbildendes Studium als dritte Säule der Hochschule neben Grundständigem Studium und Forschung) würden Kreativpotentiale für eine qualitativ bessere Verzahnung von Wissenschaft und Gesellschaft eröffnen. Die Integration des Weiterbildungssektors in den Hochschulbetrieb könnte bis hin zum Einsatz in der Forschung (auf Weiterqualifizierungsstellen) oder in der Lehre (über Lehraufträge) reichen. Ein neukonzipiertes Landeshochschulgesetz fände im Bereich der Weiterbildung Entwicklungsmöglichkeiten, die bislang getrennte politische Handlungsfelder im Sinne eines weitergefaßten Problemlösungshorizontes integrativ aufeinander beziehen könnten (siehe dazu Gert Vonhoff, Weiterbildendes Studium - Leitgedanken; Dynamisierung von Erstarrtem. Weiterbildung und die Reform der Hochschulen, in: http://www.uni-muenster.de/DeutschePhilologie2/vonhhrg.htm).

Daß die schwierigen Fragestellungen der Finanzierung im Referentenentwurf nicht wirklich angegangen werden (es findet sich nur ein vager Hinweis auf die Möglichkeit, das "weiterbildende Studium ... auch auf privatrechtlicher Grundlage anbieten" zu können, § 90 Abs. 3), ist eine Folge des fehlenden Willens, strukturell konsequent neue Wege zu gehen. In diesem Bereich keine genaueren Rahmenbedingungen abzustecken verrät entweder eine bemerkenswerte Konzeptionslosigkeit oder muß als Hintertür beurteilt werden, durch die eine Umverteilung der durch Weiterbildung entstehenden Lasten zuungunsten der/des Einzelnen erfolgen kann. Neben den Chancen eines ausgebauten Weiterbildenden Studiums sollen darum hier auch die Gefahren und die nicht allein hochschulpolitisch zu lösenden Schwierigkeiten skizziert werden, um so Dimensionen einer wirklichen Hochschulreform anzudeuten.

1. Wo der Referentenentwurf die postgradualen Studiengänge, abgesehen von den Fragen des Zugangs (§§ 66, 67) zum Weiterbildenden Studium zählt (§ 90 Abs. 2 Satz 5), entsteht die Möglichkeit, Studiengebühren für postgraduale Studiengänge über die Debatte um Weiterbildungsgebühren zu etablieren. Wie sich postgraduale Studiengänge, die dem Gesetz zufolge »zur Vermittlung weiterer wissenschaftlicher Qualifikationen oder weiterer beruflicher Qualifikationen nach einem abgeschlossenen Studium« dienen sollen (§ 88 Abs. 1), zweifelsfrei von »konsekutiven Studiengängen«, für die die Studiengebührenfreiheit festgeschrieben ist (§ 10), abgrenzen lassen, erläutert der Referentenentwurf nicht ausreichend. Zwar ordnet er in der Kommentierung zu § 96 die neu eingeführten Bachelor- und Mastergrade in »das international gebräuchliche Modell aufeinanderfolgender (,konsekutiver') Studiengänge« ein (Begründung § 96). Doch bleibt eine Unklarheit, wo der gleiche Referentenentwurf »Studiengänge, die zu einem Diplom- oder Magistergrad führen«, an anderer Stelle als »postgraduale Studiengänge« einstuft (§ 88 Abs. 1). Damit gerade in diesem Punkt eine zweifelsfreie Klärung erfolgen kann, ist eine definitorische Festlegung des Begriffs »konsekutiver Studiengang« (als Teil der Berufserstausbildung) in Abgrenzung zu postgradualen Studiengängen zu fordern. Und für die Frage möglicher Studiengebühren wäre in der Folge solcher Festlegungen dann zu unterscheiden, ob das Weiterbildende Studium Teil der Berufserstausbildung ist (keine Studiengebühren) oder ob es aus einem außeruniversitären Arbeitsverhältnis heraus begonnen wird (siehe D.2: Verbot von Studiengebühren).

2. Wenn das Weiterbildende Studium als Qualifizierungsmaßnahme für nicht im Erwerbsleben-Stehende öffentlich (Arbeitslosenprogramme) oder über die Sozialversicherungsträger finanziert werden soll, muß es für die im Erwerbsleben-Stehenden berufsbegleitend über Wochenarbeitszeitvereinbarungen oder über Jahresarbeitszeitmodelle (z.B. Sabbatjahr) angelegt werden. Sonst ist dem Mißbrauch der öffentlichen Förderung über (Schein-)Kündigungen Tür und Tor geöffnet. Berufsbegleitende Weiterbildung ist eine arbeitsmarktflankierende Maßnahme, die ihre Wirkung entfaltet, bevor ArbeitnehmerInnen aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Wochenarbeitszeitkürzungen wie Jahresarbeitszeitmodelle ermöglichen es zudem, am Arbeitsprozeß mehr Erwerbstätige teilhaben zu lassen, erbringen so die erwünschten arbeitsmarktpolitischen und binnenkonjunkturbelebenden Effekte; sie entlasten außerdem die Sozialversicherungssysteme. Wenn die Modifizierung von Arbeitszeiten hingegen dazu führt, daß die Arbeit wegen fehlender Neueinstellungen nur verdichtet wird, so ist dies eine volkswirtschaftlich kurzsichtige Perspektive; die Folgen, etwa die gesundheitlich bedingte Frühverrentung, sind später gesamtgesellschaftlich zu tragen, wohingegen der betriebswirtschaftliche Nutzen zuvor allein den Arbeitgebern zugute gekommen ist. Die Politik, die dem Gemeinwesen und nicht Partikularinteressen verschrieben ist, muß derartige einseitige Belastungen verhindern. Eine neue Arbeitsmarktpolitik hat darüber hinaus Korridore zu schaffen, damit berufliche Weiterbildungsangebote aller Richtungen als Recht der Arbeitnehmenden verstärkt genutzt werden können und so ein Bewußtsein schaffen für die Möglichkeiten eines lebensbegleitenden Lernens, auch über die konkrete Anwendung im Beruf hinaus. Die Hochschulen bieten mit der Breite ihres Studienangebots besondere Möglichkeiten, berufsbezogene und allgemeine Weiterbildung ergänzend als Angebote wahrzunehmen, also auch berufliche Umorientierungen zu ermöglichen, wenn dies im Interesse der abhängig beschäftigten ArbeitnehmerInnen ist. Dazu bedarf es allerdings kreativer Freiräume, die sich erst ergeben, wenn die Weiterbildung nicht nach Dienstschluß als zusätzliche Belastung betrieben werden muß.

3. Die tarifpartnerschaftlich zu vereinbarenden Arbeitszeitmodelle, die ein Weiterbildendes Studium in das Berufsleben integrieren, bauen für die höheren Gehaltsstufen auf einer Verkürzung der Produktivarbeitszeit ohne Lohnausgleich auf. Dies ist aufgrund der Gehaltsstruktur der betroffenen ArbeitnehmerInnenschichten sozial vertretbar. Ein Teil des von den ArbeitgeberInnen eingesparten Lohnanteils geht als Kompensation in die Finanzierung der Weiterbildung. Die ArbeitgeberInnen profitieren dafür von kontinuierlich weitergebildeten und damit kreativeren, besser motivierten Mitarbeitenden. Die restliche Finanzierung erfolgt über Haushaltsmittel, die über die allgemeinen Steuern finanziert sind (ggf. auch über einen finanziellen Lastenausgleich). Für die unteren und mittleren Gehaltsstufen muß ein umgekehrt zu den Einkommen gestuftes Modell des Lohnausgleichs geschaffen werden, das vor allem die unteren Gehaltsstufen entlastet.

Eine alternative Art der Finanzierung ließe sich über den Umbau des Sozialversicherungsnetzes herstellen. Denkbar wäre dies, wo anstelle der Arbeitslosenversicherung eine Arbeitsversicherung etabliert würde, »die allen Erwerbsfähigen die Integration in den normalen ersten Arbeitsmarkt oder den öffentlich geförderten, aber dauerhaft organisierten, Arbeitsmarkt ermöglicht. Die Arbeitsversicherung wäre dafür zuständig, flexiblere Erwerbsbiographien und Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit abzusichern.« Notwendige Umorientierungen, die das Erwerbsleben zukünftig stärker als bisher prägen, ließen sich auf diese Weise berechenbarer machen; es ergäben sich zudem verbesserte Möglichkeiten für ArbeitnehmerInnen, solche beruflichen Umorientierungen in eigener Entscheidung und früher, als dies momentan meist der Fall ist, vorzunehmen. »Soweit wie möglich sollen nicht die Folgen von Arbeitslosigkeit korrigiert, sondern Beschäftigung sozialstaatlich eingebettet werden. Der Logik nach wäre die Arbeitsversicherung so etwas wie eine Beschäftigungsgesellschaft für die ganze Volkswirtschaft. Sie stellt die Plattform bzw. die ,Drehscheibe im Strukturwandel' dar, auf der Risiken aufgefangen und auf der individuelle Interessen und Fragen der wirtschaftlichen Strukturentwicklung verbunden werden.« Mit Hilfe der Arbeitsversicherung gilt es, »dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung dort zu schaffen, wo zwar ein gesellschaftlicher Bedarf, aber angesichts der nicht vorhandenen Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung keine ausreichende Nachfrage besteht«, wie etwa im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, auf dem Sektor der Pflegeberufe oder in den personalintensiven Handwerken. (siehe dazu Benjamin Mikfeld und Jessica Wischmeier, Innovation, Arbeitspolitik und neues Sozialstaatsverständnis, in: spw 4, 1998, S. 36-41.) Die Finanzierung der Berufsbezogenen Weiterbildung über die Arbeitsversicherung könnte auch klein- und mittelständische Unternehmen entlasten, damit dort den Druck auf Arbeitnehmer mindern, die sich weiterbilden wollen. Die Kostendeckung über eine Arbeitsversicherung könnte zudem für Selbständige interessant sein, sofern sie sich freiwillig versichern.

4. Wo sich die Wochenarbeitszeit aus einer Produktivarbeitszeit und einer gesetzlich und/oder tariflich geregelten Weiterbildungsarbeitszeit zusammensetzt, besteht für alle Beteiligten ein (gesetzlich oder tarifvertraglich) geregelter Rahmen, der die Teilnahme an Angeboten der Weiterbildung ermöglicht. Weiterbildung kann so nicht nur zum Recht, sondern auch zur Praxis für viele untere und mittlere Berufsgruppen werden, die bislang von den Möglichkeiten der Weiterbildung oftmals ausgeschlossen blieben.

5. Beim systematischen Ausbau des Weiterbildenden Studiums ist darauf zu achten, daß Weiterbildungsangebote von freien und gemeinnützigen Trägern sowie von Volkshochschulen nicht zerstört werden. Dies ist über die Spezifik der unterschiedlichen Weiterbildungsangebote zu leisten, notwendig sind dazu gemeinsame regionale Zielvereinbarungen der verschiedenartigen Anbieter und deren inhaltliche Zusammenarbeit. Koordinationszentren, die aufzubauen sind, ermöglichen eine regionale Strukturplanung. Erst wenn die vielfältigen und zerstreuten Angebote zusammengestellt werden, wird für UnternehmerInnen und Betriebsräte, vor allem in klein- und mittelständischen Betrieben, der Weiterbildungsmarkt samt seinen Zertifikationen erschließbar; manches an betriebsinterner Weiterbildung kann dann kostengünstiger und innovationsfördernder aus den Betrieben hinausverlagert werden. Die Weiterbildungskoordinierungsstellen, etwa in Form einer Angebotsbörse, dienen neben der Information schließlich auch der Programmabstimmung und -weiterentwicklung.

6. Die Voraussetzungen und das Verfahren des Zugangs und der Zulassung zum Weiterbildenden Studium von der jeweiligen Hochschule regeln zu lassen (§ 90 Abs 2 Satz 2-3) macht innerhalb einer nicht länger mehr marginalisierten universitären Weiterbildung wenig Sinn. Es begünstigt einseitig von den Hochschulen bestimmte Strukturen (etwa in der Art von Auswahlgesprächen), wo es (nicht zuletzt aus längerfristigen wirtschaftlichen Gründen) gerade um eine möglichst integrative Förderung geht. Weiterbildung auch im universitären Rahmen ist, wie sie hier skizziert wird, ein gesellschaftliches Interesse; darum sind die Bedingungen des Zugangs und der Zulassung auch vom Gesetzgeber zu definieren (siehe C.8: Hochschulzugang). Zugangsmöglichkeiten sind darüber hinaus im Sinne einer lebensbegleitenden Hochschulöffnungspolitik verstärkt für diejenigen bereitzustellen, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation auch ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung den Weg in die Hochschulen finden können sollen. Zugänge inhaltlicher Art (etwa über die Qualifikation als MeisterIn) schaffen erst die erstrebenswerte Breite der Praxisbezüge.

7. Den Teilnehmenden am Weiterbildenden Studium lediglich Gasthörerstatus zuzubilligen (§ 90 Abs. 1 Satz 3) macht sie zu einem Fremdkörper, setzt damit ein falsches Zeichen. Wo die Verzahnung von Wissenschaft und Arbeitswelt gelingen soll, ist die Integration der im Berufsleben Stehenden an der Universität anzustreben. Das ist nur durch die curriculare und organisatorische Verzahnung von Grundständigem und Weiterbildendem Studium zu gewährleisten. So erst entstehen neben den gleichen Rechten auch die gleichen Pflichten. Die mitunter anders gelagerten Interessen und Zugriffsweisen der am Weiterbildenden Studium Teilnehmenden können so auch in das Grundständige Studium einfließen, Praxisbezüge herstellen; wichtig bleibt dabei, daß die Grundorientierung eines wissenschaftlichen Studiums (mit seiner Theorieorientierung) nicht aufgegeben werden darf. Denn allein so vermag sich für das Weiterbildende Studium eine qualitative Eigenständigkeit gegenüber der stärker an Praxis orientierten betrieblichen und außeruniversitären Weiterbildung herzustellen, die dafür sorgt, daß die Hochschulen als Anbieter nicht einfach Funktionen der anderen Weiterbildungsträger übernehmen, sondern alternative und ergänzende Angebote im Bereich der Weiterbildung bereitstellen.

Die Marginalisierung der Weiterbildung an den Hochschulen gilt es endlich strukturell und in den Köpfen zu beseitigen. Emanzipatorische Arbeitsmarktpolitik und eine volkswirtschaftlich ausgerichtete Hochschulpolitik finden als gesellschaftliche Aufgaben im Bereich des Weiterbildenden Studiums einen gemeinsamen Handlungsraum.