Demokratie in der autonomen Hochschule

Die Gestaltung des hochschulinternen Zusammenhangs von Demokratie und Autonomie ist als wesentliche Voraussetzung dafür zu verstehen, daß eine so wichtige gesellschaftliche Institution wie die Hochschule ihre Aufgaben für eine Gesellschaft, die sich über demokratische Ansprüche definiert, auch erfüllen kann.

Welches Maß an interner Demokratisierung muß angestrebt werden, damit die Hochschulen ihre Rolle in der Demokratie verantwortlich wahrnehmen können? Haben sich die mit dem HRG von 1975 durchgesetzten Strukturen der Mitwirkung in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung als Mittel der inneren Demokratisierung der Hochschulen bewährt?

Eine über den Zusammenhang von Demokratisierung und Autonomie geführte Debatte führt mit Notwendigkeit zur Frage nach den auch per Gesetz gesellschaftlich gewollten Gestaltungsrechten der nicht-professoralen Gruppen, unter denen die Studierenden das extremste, aber eben nicht das einzige Beispiel sind. Alle Regelungskomplexe der Hochschulgesetze zu den Bereichen Lehre, Forschung, Prüfungen und Selbstorganisation sind hinsichtlich der notwendigen Gestaltungsrechte aller Gruppen zu überprüfen und nicht nur an dem Kriterium bisheriger Mitwirkungsrechte zu messen.

Die Diskussion zu den o.g. Regelungskomplexen hat zumindest zwei wesentliche Dimensionen: die erste bezieht sich auf den Sozialisations- und Qualifizierungsprozeß der Studierenden in der Hochschule und auf die damit verbundene Habitusprägung künftiger EntscheidungsträgerInnen; die zweite Dimension bezieht sich auf die Mittlerrolle, die die Studierenden zwischen Gesellschaft und Hochschule einnehmen.

Damit ist die Frage nach dem Zusammenhang von Demokratisierung und Autonomie nicht primär über die bisherigen Mitwirkungsrechte in der akademischen Selbstverwaltung zu beantworten. Vielmehr geht es um prinzipielle materielle Gestaltungsrechte der Studierenden als der Gruppe, die die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen immer wieder neu in Gang setzt. Dieser Austauschprozeß muß etwa bei der Entscheidung über das Lehrangebot und die Angebotsplanung eines Fachbereichs, über Forschungsprojekte und -planung, über Prioritätensetzung bei der Haushaltsplanung, etc. stattfinden.

Gegenüber solchen Vorstellungen ist festzuhalten, daß der vorliegende Gesetzentwurf die Festlegung der Studierenden auf Nutzungsrechte fortschreibt, die mit dem HRG von 1975 vorgezeichnet wurde. Der Gesetzentwurf nimmt die negativen Erfahrungen und Entwicklungen, wie sie sich in der Folge des HRG eingestellt haben, nicht als Teil einer Bedingungsanalyse für zukünftige Entwicklungen auf; insbesondere nicht, was die Vernichtung studentischen Engagements und studentischer Öffentlichkeit betrifft, die durch die Verhaltensregeln auf der Spielwiese der akademischen Selbstverwaltung bestimmenden Regeln, einschließlich des Ordnungsrechts vorangetrieben werden.

Die Regeln, nach denen die akademische Selbstverwaltung der vergangenen zwanzig Jahre funktioniert hat, begünstigen die Entwicklung neuer Formen von Selbstentmündigung und Analphabetismus im Sinne schwindender Fähigkeit und Bereitschaft zu einer individuellen und kollektiven demokratischen Praxis, die nicht nur auf Symptome reagiert, sondern Ursachen erfaßt.

Nur über politisch gewollte Gestaltungsrechte der Studierenden, des wissenschaftlichen Nachwuchses und der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen ist ein gesellschaftlich verantwortetes, umfassendes Engagement zukünftiger Studierenden- und WissenschaftlerInnengenerationen denkbar. Dies würde eine neue Qualität der Verantwortung für die jeweiligen Sozialisations- und Qualifikationsprozesse und für deren gesellschaftlichen Gebrauchswert bedeuten.

Der Gesetzentwurf nennt schon eingangs als eines seiner vorrangigen Ziele die "Stärkung von Partizipationsrechten" (Begründung I. Ziele). Das entspricht dem in den Leitlinien zur Funktionalreform genannten Vorsatz, die Hochschulen zu demokratisieren. Bei der näheren Analyse des Gesetzestextes zeigt sich jedoch, daß Partizipationsmöglichkeiten nicht erweitert werden. Im Gegenteil: Auf allen Ebenen werden Kompetenzen und Initiativrechte zu den Exekutivorganen, also Dekanat und Rektorat, verlagert (siehe A.2: Eindimensionalität). Die gewählten Gremien werden auf eine Kontrollfunktion reduziert. Auch die Repräsentation der nicht-professoralen Gruppen in der akademischen Selbstverwaltung bleibt weiterhin unbefriedigend. Die absoluten Mehrheiten der ProfessorInnen werden nicht eingeschränkt, sondern eher noch stärker betont (vgl. Wahl des Rektors/der Rektorin).

Nicht nur innerhalb der Hochschule, sondern auch in ihrer Rückkopplung an die Gesellschaft werden innovative, demokratiefördernde Modelle im Gesetz nicht berücksichtigt. Aus diesen Gründen ist der Regelungsgehalt des Gesetzentwurfs in Fragen der Partizipation und Demokratie nicht akzeptabel.

Nach dem noch immer gültigen Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 sind die Möglichkeiten zur Demokratisierung hochschulinterner Entscheidungsprozesse eingeschränkt. Eine Prüfung dieses Urteils ist mittelfristig unumgänglich. Bis dahin ist es allerdings um so wichtiger, die Möglichkeiten, die es läßt, voll auszuschöpfen. Dies tut der Entwurfstext, wie bereits beschrieben, keineswegs. Statt die absoluten Mehrheiten der ProfessorInnenschaft in Senat (§ 21) und den Fachbereichsräten (§ 28) fortzuschreiben, sollten kombinierte Möglichkeiten der verschiedenen vorhandenen Reformmodelle bedacht werden. Dabei sind besonders die spezifischen Möglichkeiten und Zwänge auf den verschiedenen Organisationsebenen der Hochschule zu beachten. Regelungen für den Senat können nicht unbesehen auf die Gremien der Fachbereiche angewandt werden. Auf der Ebene der zentralen Hochschulgremien sieht der Gesetzentwurf zunächst die Streichung des Konvents vor. Das trägt der vor Jahren durch Kompetenzentzug produzierten Disfunktionalität dieses Gremiums Rechnung und ist somit nicht grundsätzlich zu beanstanden. Anstatt allerdings diese Möglichkeit zu nutzen und ein reformiertes Gremium zu schaffen, das die Aufgaben des Konvents übernimmt, wurden diese im Zeichen der "Verschlankung" dem Senat übertragen. Das ist nicht akzeptabel. Für Entscheidungen in Grundsatzfragen muß ein eigenständiges Gremium, etwa ein erweiterter Senat, geschaffen werden. Dieses muß viertelparitätisch besetzt sein, was auch im Rahmen geltender Rechtsprechung möglich ist. Der erweiterte oder große Senat sollte alle Aufgaben übernehmen, welche von grundsätzlicher Bedeutung sind und nicht unmittelbar Forschung und Lehre berühren. Der bestehende Senat bleibt in der vom Gesetz vorgesehenen kleinen Form erhalten. Ihm obliegen alle Entscheidungen, bei denen nach dem Hochschulurteil von 1973 eine professorale Mehrheit erforderlich ist. Dementsprechend bleiben bisherige Wahlmodalitäten und Mehrheiten erhalten. Der große Senat legt in der Grundordnung die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gremien fest. Sollte im Einzelfall die Kompetenz strittig sein, entscheidet der große Senat über die Zuständigkeit (siehe Stellungnahme der Juso-Hochschulgruppen NRW zum Referentenentwurf). Eine solche Regelung entspräche zum einen dem neuen HRG, zum andern geht der Gesetzgeber in Hessen momentan einen ganz ähnlichen Weg, so daß dieses Modell grundsätzlich unzweifelhaft realisierbar ist.

Auf der Ebene der Fachbereiche können aus Praktikabilitätsgründen keine zwei Gremien gebildet werden. Sinnvoller wäre daher der differenzierte Umgang mit der Einheit von Sitz und Stimme. Demnach werden die Sitze des Fachbereichsrats viertelparitätisch besetzt. In Fragen mit unmittelbarem Bezug zu Forschung und Lehre wird die Stimme jedes professoralen Mitglieds mehrfach gewertet, um die absolute Mehrheit der Stimmen sicherzustellen.

Flankierend zu diesen Konzepten ist das Rederecht von im Einzelfall betroffenen Hochschulangehörigen in allen Gremien festzuschreiben. Dies ist nicht nur unter demokratischen, sondern auch unter Gesichtspunkten der sachgerechten Entscheidung vordringlich. Weiterhin sollte die Möglichkeit eines suspensiven Gruppenvotums in das Gesetz aufgenommen werden. Wenn die Gremienangehörigen einer Gruppe überstimmt wurden, müssen diese die Möglichkeit haben, ein aufschiebendes Veto auszusprechen. Ziel einer solchen Regelung ist erstens, die Interessen aller Hochschulgruppen zu wahren und zweitens, eine offenere Entscheidungskultur in den Gremien zu etablieren. Mit einem Vetorecht wird die Meinungsbildung von größerer Verständigungsbereitschaft der Gruppen untereinander geprägt sein. Es ist zu vermuten, daß jede Gruppen, da sie nur geschlossen ein Veto aussprechen kann, vorsichtig mit diesem Mittel umgehen wird.

Die Stärkung der Mitbestimmung nicht-professoraler Gruppen muß sich in einer durchgängig viertelparitätischen Besetzung beratender Gremien äußern. In der Studienkommission des Senats (§ 22 Abs. 1) sollte eine Halbparität zwischen wissenschaftlichem Personal und Studierenden bestehen. In keinem Fall ist es sinnvoll, den/die RektorIn als stimmberechtigtes Mitglied in den großen oder kleinen Senat aufzunehmen und diesen der Gruppe der ProfessorInnen zuzurechnen. Damit wird eine doppelte Mehrheit bei der Wahl des Rektors/der Rektorin notwendig, was aber seinem/ihrem Vertretungsanspruch für die gesamte Hochschule widerspricht. Durch die doppelte Mehrheit werden die Stimmen der nicht-professoralen Gremienmitglieder völlig entwertet. Auch darf der/die RektorIn als Oberhaupt der Hochschulverwaltung nicht gleichzeitig über die Kontrolle der Verwaltung mitentscheiden. Die Wahl des Rektors/ der Rektorin obliegt dem großen Senat, wo er/sie für eine Amtszeit von vier Jahren mit absoluter Mehrheit gewählt werden muß. Der/die RektorIn kann vom großen Senat mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum abgewählt werden. Diese Ausführungen lassen sich analog auf das Verhältnis von Fachbereichsräten und DekanInnen anwenden.

Zu begrüßen ist die Möglichkeit der Gleichstellungsbeauftragen, an den Sitzungen aller Gremien teilzunehmen (§ 23 Abs. 1). Darüber hinaus muß dieses Recht auch den Behinderten-, AusländerInnen- und Umweltbeauftragten zustehen. Diese Gruppen, bzw. Problemfelder, werden in dem Entwurf durchgängig vernachlässigt (siehe C.7: Chancengleichheit). Im Sinne einer demokratischen Hochschule ist es gleichfalls unerläßlich, daß sämtliche Hochschulgremien öffentlich tagen. Die Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten bleiben davon unberührt.

Die Zusammensetzung der Exekutivorgane ist durch den Entwurf unbefriedigend geregelt. Weiterhin besteht für kein Mitglied einer nicht-professoralen Gruppe die Möglichkeit, die Position eines Prorektors/einer Prorektorin zu bekleiden (§ 20). In Dekanaten wird sehr beschränkt eine solche Regelung eingeführt (§ 27). Teils konterkarieren die weiteren Ausführungen des Entwurfs aber diese Neuerung. So muß weiterhin die Position des Studiendekans / der Studiendekanin von einem/einer ProfessorIn besetzt werden. Gerade die Öffnung dieser Position für Studierende ist enorm wichtig im Sinne der stärkeren Berücksichtigung von Studierendenangelegenheiten in den Dekanaten. Das Gesetz muß für studentische Mitglieder von Gremien und Verwaltungsorganen eine Aufwandsentschädigung vorsehen, die der finanziellen Grundsicherung der Studierenden Rechnung trägt.

Es ist weiterhin notwendig, daß auch auf der Ebene der Institute demokratische Mindeststandards festgeschrieben werden. Zu diesem Punkt äußert sich der Gesetzentwurf bisher gar nicht.

Im Sinne einer freieren Entfaltung der Hochschulen und um ihnen eine offene Gestaltung des Studiums zu ermöglichen, ist es nötig, den Wildwuchs der Rahmenordnungen zu beseitigen. Rahmenordnungen müssen den Spezifika der jeweiligen Hochschule Rechnung tragen. Anforderungen an sie sind: Vergleichbarkeit, Interdisziplinarität und die Festsetzung von Mindeststandards. Eine Möglichkeit, das umzusetzen, wäre die Schaffung eines landesweiten Kuratoriums, das sich mit der Erarbeitung von Rahmenordnungen und mit der Weiterentwicklung der Schlüsselsschlüssel für die staatliche Finanzierung beschäftigt.

Bei der Aufgabe, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft zu verzahnen, bleibt der Gesetzentwurf Konzepte schuldig. Das Kuratorium, welches in der Lage wäre, genau das zu leisten, wird in der vorgesehenen Form völlig wirkungslos bleiben (§ 24) (siehe B.2: Das Kuratorium).

Die Erprobungsklausel (§ 9), die der Entwurf beinhaltet, ist in dieser Form unbefriedigend. Zum einen vereinen die Zielvorstellungen so vieles, teils Unvereinbares, daß im Ergebnis eine Beliebigkeit vorliegt, die Mindeststandards untergräbt. Des weiteren ist es notwendig, daß die Erarbeitung der Erprobungsmodelle nicht von der Hochschulleitung, sondern vom großen Senat selbst vorgenommen wird, der zu diesem Zweck eine Kommission bilden kann. Der Sinn der in § 9 Absatz 2 genannten Vereinbarung ist nicht erkennbar. Sollte es sich um bloße Absichtserklärungen handeln, so kann auf diese Vereinbarungen verzichtet werden. Sollte hier allerdings eine Möglichkeit für die Hochschulleitung geschaffen werden, an den Kontrollinstanzen vorbei Regelungen mit dem Ministerium abzusprechen, so widerspricht dies fundamental demokratischen Prinzipien und muß ausgeschlossen werden. Daher ist es in jedem Fall sinnvoll diesen Absatz zu streichen.