Evaluation

§ 4 des Referentenentwurfs zum HG NW führt die Evaluation als neue Aufgabe der Hochschulen ein. In der Kommentierung heißt es dazu: »Im Zuge des Abbaus staatlicher Regelungsbefugnisse muß auf Instrumente zurückgegriffen werden, die die Selbststeuerung und Qualitätssicherung der Hochschulen gewährleisten.« Während bisher im Zuge der nicht nur exekutiven Stärkung von Rektorat und Dekanat beide als »für die Durchführung der Evaluation verantwortlich« vorgesehen sind (§ 20 Abs. 1 Satz 4, § 27 Abs. 1 Satz 2), gilt es demgegenüber im neuen Gesetz festzuschreiben, daß die Evaluation in der Verantwortung der Gremien (Senat, vor allem Fachbereichsrat) gestaltet, durchgeführt und ausgewertet wird.

Evaluation darf dabei nicht als weitere Bürokratisierung, im schlimmsten Falle in Form einer/eines »Evaluationsbeauftragten«, nicht als erweiterte Lehrberichte oder kurzsichtige Managementaufgabe des Dekanats bzw. Rektorats verstanden werden, wie es im bisherigen Gesetzentwurf anklingt. Statt dessen soll sie ein Instrument zu einer selbstkritischen Reflexion des Faches über die eigenen Stärken und Schwächen sein:

Wird eine zweigeteilte Evaluation vorgesehen in Form eines Selbstberichtes des Faches und einer darauffolgenden externen Begutachtung, so bietet sie die bestmögliche Grundlage für die Entwicklungspläne des Fachbereiches. Im bisherigen Gesetzentwurf waren Rektorat und Dekanat vorgesehen für die Erarbeitung dieses Entwicklungsplanes (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2). Weil das Interesse der Fächer und ihrer MitarbeiterInnen auf Dekanats- und Rektoratsebene weniger gut beurteilt werden kann, bleibt eine Evaluation in deren Zuständigkeit immer in der Gefahr, ein bloßes Konzentrations- und Ausdünnungsmittel zu werden.

Wenn hingegen alle in den Gremien vertretenen Gruppen dezentral an allen Stufen der Evaluation demokratisch und gestaltend beteiligt sind, fließt die Erfahrung und die Kritik aller in den Selbstbericht ein, und das vorhandene Entwicklungspotential wird in seiner ganzen Breite ausgeschöpft. Probleme, die in der bisherigen Universitätsrealität totgeschwiegen werden konnten, müssen nun - unter dem Druck der externen Begutachtung - thematisiert und Lösungsansätze gefunden werden. Die Evaluation fordert und fördert damit den Dialog sowohl zwischen den Gruppen der Universität als auch zwischen den - mitunter nur unzulänglich kooperierenden - Instituten eines Fachbereiches (z.B. bei der gemeinsamen Nutzung der Infrastruktur wie CIP-Pools, Bibliotheken, Werkstätten etc.).

Das Verfahren der Evaluation:

Die Evaluation erfolgt sinnvollerweise landesweit für das jeweilige Fach. Die Fächer erstellen einen Selbstbericht über Kapazitäten, Auslastung und Infrastruktur, über die Studien- und Lehrsituation sowie die Forschungsgebiete. Insbesondere behandeln sie auch die bisher vernachlässigten unangenehmen Themen wie z.B. die AbbrecherInnenquoten und deren Höhe im landesweiten Vergleich und nehmen zu den aufgefundenen Defiziten Stellung.

Offene Kritik innerhalb einer kleinen Gruppe, in der sich die Mitglieder alle persönlich kennen, setzt Anonymität der Kritik voraus. Es empfiehlt sich deshalb vorzusehen, daß alle MitarbeiterInnen und die Studierenden eines Faches vor der Anfertigung des Selbstberichtes anonym - z.B. mit Fragebögen - nach bestehenden Problembereichen befragt, die Ergebnisse ausgewertet und innerhalb des Fachbereiches veröffentlicht werden. Anhand dieser Kritik würde die oben beschriebene Bestandsaufnahme des Faches erfolgen und zugleich würden 'runde Tische' mit VertreterInnen aller Gruppen Konzepte erarbeiten, um so die aufgefundenen Probleme sinnvoll zu lösen.

Über die Gestaltung der fachbereichsinternen Fragebögen und die Form des Selbstberichtes entscheiden die Mitglieder des Fachbereiches selbst, genügend Beispiele dafür gibt es in der Literatur. Frageleitfäden und ähnliches dürfen weder für die Konzipierung des Selbstberichtes noch für die anonyme Befragung der Mitglieder des Faches vorgegeben sein, da die Auswahl der Fragen und die Art der Fragestellung zu stark Einfluß auf die Ergebnisse nähme.

An den Selbstbericht schließt sich eine externe Evaluation an, die im wesentlichen die Ergebnisse der internen Evaluation prüft und im Vergleich mit den Evaluationsergebnissen anderer Hochschulen Vorschläge zu einer individuell auf die Belange der jeweiligen Hochschule abgestimmten Strukturentwicklung macht. Dabei darf darunter nicht das bisher praktizierte oberflächliche Review-Verfahren verstanden werden, bei dem die Gutachter innerhalb einer Woche das Fach an vier verschiedenen Universitäten evaluieren.

Für die Gutachterkommission sollen dabei nicht nur HochschullehrerInnen vorgesehen sein, sondern sie muß sich aus allen Gruppen der Hochschule zusammensetzen, in einer Weise, daß sie die einzelnen Teilgebiete eines Faches als möglichst breites Spektrum abdeckt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, außeruniversitäre Fachleute an der externen Evaluation zu beteiligen.

Evaluationen sollten sinnvollerweise in einem Zeittakt von fünf Jahren vorgesehen sein. Zudem sollten die Fächer zwei Jahre nach dem Bericht der Gutachterkommission einen Rechenschaftsbericht über die ggf. erfolgten Änderungen ablegen. Diesen Bericht erhalten die Hochschulleitung, das noch zu schaffende Kuratorium, das die Evaluation betreuende landesweite Kuratorium und das Ministerium.

Gegenstände der Evaluation:

Bei der Frage, was die Gegenstände der Evaluation sein sollen, besteht eine Differenzierungsnotwendigkeit, auf die der Referentenentwurf ungenügend eingeht, wenn es dort heißt: "Die Leistungen der Hochschule bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 3 insbesondere der Forschung und Lehre, bei der Förderung der wissenschaftlichen Nachwuchses und der Gleichstellung der Frauen und Männern werden regelmäßig bewertet." (§ 4 Abs. 1 Satz 1).

Innerhalb der Evaluation der Lehre der einzelnen Fächer sind studentische Lehrveranstaltungskritiken vorzusehen. Diese sollen dabei von den Studierenden geplant und durchgeführt sein und veröffentlicht werden, wofür Gelder bereitzustellen sind. Dies garantiert eine von EntscheidungsträgerInnen unabhängige Perspektive auf die Studiensituation des Faches und auf das Verhältnis zwischen Studierenden und DozentInnen.

Wie es die Erfahrung der Zentralen Evaluationsagentur (ZEvA) in Niedersachsen zeigt, fließen Gleichstellungsfragen, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Forschungssituation in den Selbstbericht und den externen Gutachterbericht ein, ohne dabei abgetrennt betrachtet zu werden. Eine planmäßige Evaluation der Forschung wäre extrem aufwendig und strukturell sehr problematisch. Wollte man sie durchführen, wären zum einen Spezialisten aller Teilrichtungen einer Disziplin in jeder Gutachtergruppe erforderlich; zum anderen unterliegen die Maßstäbe für die Bewertung des Innovativen der herrschenden und der Mode unterworfenen Lehr- und Forschungsmeinung. Den Fortschritt in der Wissenschaft begründen aber meist jene Forschungsgruppen, die jenseits des Mainstreams arbeiten. Indem diese bei einer Forschungsevaluierung wahrscheinlich benachteiligt würden, könnte Evaluation geradezu eine Bremse für die Entwicklungspotentiale werden.

Im Zuge der Verlagerung der Entscheidungsprozesse zurück in die Gremien, obliegt der Verwaltung nur noch die zügige und kompetente Umsetzung der Beschlüsse der Gremien. Aus diesem Grunde muß auch die Verwaltungsarbeit Gegenstand von Evaluationen sein; diese Evaluationen erfolgen sowohl auf der Ebene der Fachbereiche (und dabei innerhalb der Evaluation der Fächer) als auch - getrennt davon - auf der Ebene der zentralen Universitätsverwaltung.

Wo die Evaluation als neue Aufgabe der Hochschulen eingeführt wird, können die Mitglieder der Hochschulen dies bei der derzeitigen Überlastung nicht ohne zusätzliche Finanzmittel leisten. Der Referentenentwurf spart diese Frage aus. Im Sinne der zuvor skizzierten Gremienarbeit sollten die Zusatzmittel nicht dem Aufbau einer neuen bürokratischen Infrastruktur dienen, sondern zur Entlastung der Gremienmitglieder eingesetzt werden. Die damit einhergehende Aufstockung des wissenschaftlichen Personals dient zugleich der Qualitätsverbesserung in Lehre, Forschung und Selbstverwaltung.

Eine landesweite Evaluationsagentur (nach dem Muster der niedersächsischen ZEvA) unter der Aufsicht des Landeskuratoriums käme dann mit relativ wenigen Mitteln aus und diente vor allem der zeitlichen Koordinierung der Evaluation sowie der organisatorischen Planung der externen Evaluation.

»Die Ergebnisse der Bewertungen werden veröffentlicht« (§ 4 Abs. 2). Eine bislang nur in der Kommentierung stehende, aber im Gesetz notwendige Differenzierung hat klarzustellen, daß die Veröffentlichung nicht nur innerhalb der Hochschulen erfolgt, sondern auch dem Gebot der Rechenschaftslegung gegenüber Staat und Gesellschaft dient. Transparenz und eine inhalts- und problemorientierte Arbeit setzen voraus, daß die Selbstverwaltungsgremien - wo immer personalrechtlich und datenschutzrechtlich möglich - öffentlich tagen.

Das oben beschriebene Evaluationsverfahren vermittelt einen guten Überblick über die landesweite Situation des Faches. Mittelfristig läßt es Strukturentscheidungen bis hin zu Fachbereichsschließungen für einzelne Fächer zu. Diese Entscheidungen sollen jedoch erst nach der Durchführung zweier Evaluationsverfahren des jeweiligen Faches von einem - noch zu schaffenden - landesweiten Kuratorium in Absprache mit dem Ministerium getroffen werden.

Evaluation darf allerdings nicht vorschnell als Grundlage der leistungsorientierten Finanzierung der Hochschulen vorgesehen werden, wie es aus dem Zusammenspiel von § 4 Abs. 1 und § 6 Abs. des Referentenentwurfs abzulesen ist. »Die staatliche Finanzierung der Hochschule erfolgt nach den bei der Erfüllung ihrer Aufgaben erbrachten Leistungen« (§ 6 Abs. 1 Satz 1). Welche Kriterien dem Begriff 'Leistungen' dabei zugrundegelegt werden, wird nicht spezifiziert. Eine klare und sinnvolle Regelung, anhand welcher Evaluationsergebnisse Gelder den Fachbereichen zugewiesen werden sollen, kann es im komplizierten System der Hochschulen nicht geben. Beispielsweise können weder die Anzahl der AbsolventInnen noch die Forschungsergebnisse ein Kriterium darstellen; ersteres gefährdet potentiell die Ausbildungsqualität, weil mehr Studierende "hindurchgeschleust" werden, letzteres gefährdet die wirklich Perspektiven öffnende, nicht auf kurzfristige Ergebnisse ausgerichtete Forschung. Alle pauschalen Kriterien der Hochschulfinanzierung stellen automatisch Medianwerte aller Meinungen dar und werden der Individualität der Fachbereiche nicht gerecht (zu einer alternativen Möglichkeit der Finanzierung siehe D.1: Hochschulfinanzierung)

Des weiteren setzt jede Evaluation voraus, daß die Daten von dem jeweiligen Fach möglichst objektiv erhoben werden können. Ist mit dem Ergebnis unmittelbar eine leistungsorientierte Mittelvergabe verbunden, so ist diese gewünschte Objektivität nicht gewährleistet, da im Sinne des Selbstschutzes ein unbedingtes Interesse an positiven Evaluationsergebnissen bestehen muß. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit würde somit bestraft.

Jegliche Form der Akkreditierung von Hochschulen oder einzelner ihrer Fächer läuft Gefahr, die Autonomie der Hochschule und die Wissenschaftsfreiheit mittelfristig aufzugeben, indem sie die Hochschulen den Kriterien einer Akkreditierungsagentur unterwirft. Geschlossenes und einvernehmliches Auftreten der Fächer bei der Akkreditierung unterbindet den selbstkritischen Diskurs, in dem gegensätzliche Meinungen und Reformansätze thematisiert werden. Das gegenseitige Ausspielen der Hochschulen unter Konkurrenzgesichtspunkten, im extremsten Falle in Form eines akkreditierten Rankings, gefährdet die langfristige Reformfähigkeit und die Arbeit der Hochschulen für die Gesellschaft. Durch die damit mittelfristig einsetzende horizontale Schichtung der Hochschulen würde aus dem vorgeblichen Ziel der Sicherung von Mindeststandards eine Mehrklassen-Bildung. Das oben beschriebene Evaluationsverfahren innerhalb demokratischer Entscheidungsstrukturen bringt dagegen Reformprozesse dauerhaft in Gang. So ist im Landesgesetz festzuschreiben, daß nordrhein-westfälische Hochschulen an Akkreditierungsverfahren wie denen beim Nordverbund oder dem Verbund der Technischen Universitäten, z.B. zur Festlegung der Eckdaten für ein Bachelor- oder Masterstudium, nicht teilnehmen dürfen: Nötiges Geld für die Arbeit der Hochschulen ginge unnötig an Akkreditierungsinstitutionen verloren.

Es gilt in allen Gruppen der Hochschulangehörigen die für eine sinnvolle Durchführung der Evaluation notwendige Akzeptanz und Mitarbeit aufzubauen. Bei den mit jeder Evaluation einhergehenden Eingriffen in die Freiheit von Forschung und Lehre ist dies nur zu erreichen, wenn die Evaluation vor allem und in erster Linie den Belangen der Hochschule Sorge trägt. Der vorliegende Entwurf zum HG NW leistet dies noch nicht in ausreichendem Maße.