Interdisziplinarität

Am Ende des 20. Jahrhunderts stellt sich die Frage, ob die »klassische« Einteilung von Lehre und Forschung in »Fächer« allein zur Lösung der anstehenden globalen Probleme führen kann. Mittlerweile ist zwar zu beobachten, daß einzelne Aspekte der weltweiten Umwelt- und Entwicklungskrise - insbesondere solche mit lokal abgegrenzter Symptomatik - ins Curriculum der meisten Fachdisziplinen aufgenommen wurden. Es ist jedoch festzustellen, daß der bisherige Weg der rein disziplinär orientierten Lehre und Forschung ausreichende Perspektiven und Kompetenzen weder bietet noch vermitteln konnte (siehe C.3: Studienreform); im Gegenteil sogar ein Gutteil zur derzeitigen Problematik beigetragen hat. Diese ist in Teilen eskaliert, so daß disziplinär begründete Kurzsichtigkeit beispielsweise in der Architektenausbildung zu unbewohnbaren städtischen Räumen geführt hat. Und Fragen der Bewertung von Technik ziehen erst ganz allmählich in die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen ein.

Die bisherige eindimensionale Ausrichtung nahezu aller Studiengänge kann nicht dazu beitragen, Probleme von mittlerweile weltweiter Tragweite zu lösen. Vielmehr müssen den angehenden AbsolventInnen fachübergreifende methodische (integrierende) Denkweisen vermittelt werden. Viele ökologische, soziale oder ökonomische Probleme besitzen heute eine weltweite Ausprägung (»Internatialisierung«) und sind nur noch im interdisziplinären Kontext zu lösen. Und ein weiter gefaßtes Ziel wie eine dauerhaft umweltgerechte und zukunftsfähige Entwicklung (»sustainable development«) schließt monodisziplinäre Strategien vollständig aus. In diesem Zusammenhang wird vom »Zieldreieck der Nachhaltigkeit« gesprochen, welches ökologische, ökonomische und soziale Belange verbindet. Damit ist dieser Ansatz inhärent interdisziplinär.

Hier weist der Referentenentwurf in die falsche Richtung. Der Ansatz eines »schlanken Studiums« mit seinen restriktiven Elementen (der Regelstudienzeit statt der Garantiestudienzeit, der Beratungspflicht mit dem Ziel der schnellen Selektion oder den weiterhin drohenden Studiengebühren) wird tendenziell zu Studierenden mit »Scheuklappen« führen, die sich von den vermeintlichen Sachzwängen ihrer Disziplin nicht lösen können. Notwendig ist eine Bildung, die Problemlösungskompetenzen jenseits einer - wie im Referentenentwurf geforderten - »Aus«-Bildung schafft und dadurch auch mehr Eigenverantwortlichkeit für Studierende bietet.

Hier können nicht nur Aufbaustudiengänge, weitere Nebenfächer oder noch mehr Zusatzveranstaltungen allein zielführend sein. Interdisziplinäre Veranstaltungen, Seminare und Projekte, die sich in den bisherigen Kanon integrieren, bieten die Chance, problem- und zielbezogen zu studieren, Teamfähigkeit zu entwickeln und die eigene fachliche Kompetenz zu erweitern. Dies bedeutet nicht, daß alle bestehenden Studienrichtungen umgebaut werden müssen (Chemie soll Chemie bleiben). Für Studierende eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, den Elfenbeinturm zu verlassen und mit relevanten sozialen Gruppen außerhalb der Universität zusammenarbeiten, womit im Idealfall eine partizipativ ausgerichtete Hochschulentwicklung möglich wird.

Das wäre die Herausforderung für eine umfassende Studienreform.