Studienabschlüsse

Unter dem § 85 "Regelstudienzeit" findet sich die als Internationalisierung propagierte Einführung des zweigliedrigen, aus dem anglo-amerikanischen Raum stammenden Bachelor-Master-Systems. Damit wird der Referentenentwurf lediglich dem Hochschulrahmengestz gerecht, übersieht aber, daß das Bachelor-Master-System auf deutsche Verhältnisse keineswegs einfach übertragbar ist und welche Risiken eine solche Einführung mit sich bringt. Denn das deutsche Bildungssystem fußt auf einer ganz anderes gearteten Schulbildung und sieht durch Fachhochschulen und Universitäten eine gleichwertige eher berufsorientierte und eher wissenschaftsorientierte Ausbildungsform vor. Zudem bietet es mit dem dualen System eine angesehene betriebliche Ausbildung, zu der es im anglo-amerikanischen Raum nichts annähernd Äquivalentes gibt.

Bachelorabschlüsse drohen letztendlich die Ausbildung und Weiterbildung von den in den Betrieben Ausgebildeten zu verhindern. Es ist zu befürchten, daß z.B. gerade MeisterInnenpositionen durch formal höher, für diese Anforderungen jedoch eher geringer qualifizierte BA-AbsolventInnen besetzt werden. Für die in den Betrieben Ausgebildeten verringern sich somit die Aufstiegschancen im betriebsinternen Arbeitsmarkt, und die betriebliche Ausbildung verlöre an Attraktivität für die Jugendlichen (siehe Lutz, Burkart, »...dann wird der Facharbeiter als Sozialfigur nicht überleben« (Interview), in: Süddeutsche Zeitung, Beilage Nr. 38 (15.02.1990), S. 6-7); eben die vorbildliche betriebliche Ausbildung, die der amerikanische Präsident Clinton gerade einzuführen versucht. Denn bisher stellen in den USA die zweijährigen Community Colleges - der halbe Weg zum vierjährigen BA - die Berufsausbildung dar.

Bei diesen Unterschieden der Bildungssysteme verwundert es kaum, daß die deutsche Industrie für BA-AbsolventInnen bisher keinerlei Arbeitsplatzbeschreibung geben kann, keinerlei Bedarf für diese Ausbildungsform belegen kann und großteils diesen Bedarf auch nicht sieht. Arbeitsplätze für "wissenschaftlich" Ausgebildete werden sehr wahrscheinlich weiterhin an Diplom, Magister- oder Master-KandidatInnen vergeben.

Das Beispiel Schwedens und Dänemarks zeigt, daß sich bei staatlicher sozialer Absicherung aller Studierenden und Studiengebührenfreiheit 90% für die Weiterqualifizierung und damit für den dort postgradualen Master-Studiengang entscheiden. Anzunehmen ist aber, daß eine sozial ungerechte Selektion dann stattfindet, wenn der Master-Studiengang als 'Aufbaustudiengang' (und langfristig eventuell sogar als Ersatz von Diplom und Magister) mit der Bafög-Novelle aus der staatlichen Förderung herausgenommen werden sollte. Damit würde nicht Leistung, sondern die finanzielle Situation über eine weitere Qualifikation entscheiden.

Ohne Garantie der sozialen Absicherung entzieht sich die Gesellschaft der Verantwortung, Ausbildung und Weiterbildung als ein individuelles Recht bereitzustellen.

Der Gesetzentwurf sieht für Diplom- und Magisterstudiengänge an den Fachhochschulen sieben Semester, an der Universität neun Semester Regelstudienzeit vor (§ 85 Abs. 2). Dem 'Bachelorgrad' wird ein Studium von 6-8 Semestern Länge zugeordnet (§ 85 Abs. 3). Dies zeigt eine erstaunliche Konzeptionslosigkeit, was unter einem Bachelor verstanden sein will. Wie wenig eindeutig der Begriff Bachelor ist, zeigt ein Blick auf das Ausland:

Während im anglo-amerikanischen System der Bachelor meist einen Studiengang ohne wissenschaftliche und eigenständige Abschlußarbeit vorsieht, auf den dann ein postgradualer Ph.D.- oder Master-Studiengang aufgebaut wird, verleihen die Niederlande für einen Abschluß an den HBOs - diese sind etwa äquivalent zu den deutschen Fachhochschulen - den Bachelor, an den Universitäten dagegen den Master für in beiden Fällen vierjährige Studiengänge.

Innerhalb dieses Zusammenhanges ist es auch interessant die vermeintliche Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit des Titels Bachelor, gerade in den USA, zu widerlegen. "Für die Frage der gegenseitigen Anerkennung spielt die Bezeichnung Bachelor/Master eine relativ geringe Rolle; wesentlich wichtiger ist die Akkreditierung der jeweiligen Grade durch regional und überregional organisierte und sehr oft durch Berufsverbände beeinflußte Akkreditierungsinstitutionen." "Die Anerkennung der akademischen Grade ist keineswegs so eindeutig und transparent, wie es das Grundschema Bachelor-Master-Doktorat hoffen läßt. In den USA gibt es 3 000 verschiedene Bezeichnungen allein in den anerkannten Hochschulen". "mehr und mehr vermeidet man die Bezeichnung des Bachelors" und so werden zunehmend Master, zum Beispiel als Master of Business Administration (MBA), oder Doktortitel, z.B. als Juris Doctor (J.D.) als Abschlußtitel verwendet (aus Klaus Schnitzer, Bachelor- und Masterstudiengänge im Ausland, Juli 1998, Hannover in: HIS Kurzinformation). Die Forderung des Referentenentwurfes, daß die "einander entsprechenden Hochschulabschlüsse gleichwertig sind und die Möglichkeit des Hochschulwechsels erhalten bleibt" (§7 Abs. 1 Satz 6), wird sich vor diesem Hintergrund und nach einer propagierten 'Profilbildung' schwerlich aufrechterhalten lassen.

Eine EU-weite Regelung der Äquivalenz länderspezifischer Studienabschlüsse entspräche einem sinnvollen Internationalismus. Die Diversität und Charakteristik wird so keiner Dominanz eines Bildungssystems geopfert, wie sie sich etwa im Versuch einer vermeintlichen Vereinheitlichung unter den gemeinsamen Titeln BA und MA ausdrückt. Diversität benötigt nur die Vergleichbarkeit, nicht die kurzsichtige Nivellierung.

Indem der Bachelor die Chance der wissenschaftlichen eigenständigen Ausbildung verpaßt, indem er ein verschultes Studium ohne Abschlußarbeit vorsieht, entgeht der Gesellschaft das die Selbständigkeit und die analytischen Fähigkeiten fördernde Element einer wissenschaftlichen Ausbildung. Sie leistet einer 'den Schein mache ich auch schnell noch nebenher'-Mentalität Vorschub, die dem Begriff des 'Studiums' in keiner Weise mehr gerecht wird. Genau diese Eigenständigkeit der AbsolventInnen, dieser selbstbewußte Umgang mit ungewohnten Situationen ermöglicht aber die in der heutigen Gesellschaft geforderte Flexibilität in der Arbeitswelt und vermittelt die Fähigkeiten, an den demokratischen Diskussionsprozessen gestaltend teilzuhaben.

Schon § 84 (Studiengänge) nennt nicht mehr einen so wichtigen Bestandteil von Studiengängen wie noch das alte Universitätsgesetz: "Studiengang ... ist ein ... auf ein bestimmtes Ausbildungsziel gerichtetes Studium" (§83 des noch geltenden UG). Hier manifestiert sich am deutlichsten die Konzeption des Gesetzentwurfes mit seiner reinen Ausrichtung auf "berufsqualifizierende" Abschlüsse, anstatt auf ein von den Studierenden selbst gewähltes Ausbildungsziel, insbesondere in den Magisterstudiengängen, für die es kein eindeutiges Berufsbild gibt.

Auch das Grundprinzip der Verknüpfung von Forschung und Lehre wird beim Bachelor weitgehend aufgegeben, indem er das forschende Lernen innerhalb einer Abschlußarbeit nicht mehr vorsieht.

Es geht also in der modischen Diskussion über Bachelor und Master um mehr als den Streit um kürzere Studienzeiten; eine Diskussion, die nur die mangelnde Finanzierung und Stellenausstattung verdecken soll. Mit ihr einher geht die an ökonomischen Zielen ausgerichtete Ausbildung anstatt eines an der sozialen Partizipation und den demokratischen Interessen einer Gesellschaft orientierten Studiums.

Auch das häufig mit dem Bachelor-Master-System zusammen behandelte credit-point-system stellt allein noch keine Internationalisierung dar. Bei einem Wechsel der Universität oder nach einem Auslandssemester sollte einer Anrechnung der dort erbrachten Studienleistungen die inhaltliche Begutachtung zugrunde liegen. Von einem Credit-Point-System wird erhofft, den Studierenden Sicherheiten bei der Anrechnung zu geben. Die damit verbundenen Probleme der Akkreditierung zeigen jedoch die langjährigen Erfahrungen Amerikas:

Die "Leistungskumulierungssysteme fördern in erster Linie die Durchlässigkeit in der jeweiligen Institution, aber nicht zwischen den Institutionen." (Klaus Schnitzer, Bachelor- und Masterstudiengänge im Ausland, Juli 1998, Hannover, in: HIS Kurzinformation)

So wird das modisch propagierte European Credit Point System (ECPS) auch kaum die Erwartungen erfüllen, die in es gesetzt werden.

Vor dem Studium zu absolvierende berufspraktische Tätigkeiten verlagern die Bringschuld auf die Studienbewerber und benachteiligen Studienbewerber aus einkommensschwachen Familien, da die staatliche Förderung (Bafög) nicht greift, nicht greifen kann, weil es dazu einer Immatrikulation bedürfte. Ihre Beschränkung auf maximal drei Monate, ist ein nur zaghafter Schritt in die richtige Richtung anstatt sich zu einer definitiven Absage durchzuringen.

Daß in § 84 Studiengänge, die Auslandssemester oder berufspraktische Studienphasen einplanen, um ein Semester verlängerte Regelstudienzeiten vorsehen dürfen, wäre prinzipiell begrüßenswert. Denn die gängige Praxis, die die in der Regel nicht entlohnten Praktika als Zusatzqualifikationen ansieht, verschließt den finanziell Schwachen diese Möglichkeit, da sie in den vorlesungsfreien Zeiten ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Bei nicht ausreichend vorhandenen Praktikumsplätzen wird aber nicht nur der Druck auf die Studierenden verlagert und ggf. die Studienzeiten bei gleichbleibender staatlicher Bafög-Förderung verlängert. Gleichzeitig ist die Einführung verpflichtender Praktika auch arbeitsmarktpolitisch fragwürdig, öffnet sie damit doch dem finanziellen Mißbrauch von Seiten der Unternehmen Tür und Tor. Sinnvoller wäre es, die Förderung von berufspraktischen Phasen und von Auslandsaufenthalten zu intensivieren z.B. durch Übernahme von ausländischen Studiengebühren, Aufstockung der Stipendien für Auslandsaufenthalte, Auslandsbafög, Verbesserung der Kontakte und Austauschprogramme zwischen den Universitäten, bessere Betreuung und Vermittlung von Praktika.

Das kann letztendlich die nicht sinnvolle Trennung aufheben, die Berufsorientierung und Wissenschaft trennt, ähnlich wie sie dem Mythos der praxisorientierten Fachhochschulen und der "wissenschaftlichen" Hochschulen weiter am Leben erhält (siehe A. 3: Annäherung).

Das Vorurteil, deutsche Universitäten seien für ausländische Studierende nicht attraktiv genug, trifft schlichtweg nicht zu.

Zum einen erfährt das deutsche Diplom im Ausland eine hohe Anerkennung, werden AbsolventInnen deutscher Universitäten im Forschungsbereich sehr geschätzt. Auch die deutsche Forschung genießt im internationalen Vergleich einen guten Ruf. So nutzen Studierende aus afrikanischen, asiatischen und Osteuropäischen Ländern zunehmend die Chance der deutschen Ausbildung, wenn auch noch nicht in einem mit Amerika oder Großbritannien vergleichbaren Maße.

Zum anderen besteht gerade aus osteuropäischen und afrikanischen Ländern eine höhere Nachfrage nach deutschen als nach anglo-amerikanischen Abschlüssen. Betrachtet man dann die hohen finanziellen Anforderungen (mind. 800 DM Gehalt, die ausländische Studierende für sich nachweisen müssen; für Studierende aus afrikanischen Ländern der Nachweis eines Sparkontos mit 20.000 DM Guthaben etc.), so hat man nicht nur den Grund für die mangelnde Internationalisierung, sondern fühlt sich an bayrische Argumente in der AusländerInnenpolitik erinnert, so insbesondere bei der Bevorrechtigtenregelung für Arbeitsplätze oder bei der drastischen Ausländergesetzgebung und der Praxis der Aufenthaltserlaubnis.

Finanzielle Unterstützung von Austauschprogrammen und die soziale Absicherung ausländischer Studierender in Deutschland wären auf Länder- und Bundesebene dementgegen ein richtiger Schritt, genauso wie der Ausbau der Modelle im Bereich des Spracherwerbs. Zum einen innerhalb Deutschlands in Form von einjährigen Deutschsprachkursen (Studienkollegs), zum anderen in den Entwicklungsländern; dort sind die Sprachkurse der Goethe-Institute für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. Entwicklungspolitik als Ausbildungspolitik verstanden, bringt gewiß den nachhaltigsten Effekt. Diese Chance sollte genutzt werden. Wenn im Gegenzug Praktikumsaufenthalte in Entwicklungsländern, woran durchaus Interesse seitens der deutschen Studierenden besteht, stärker gefördert würden, wäre der Wissensaustausch auf doppelter Ebene beschritten.

Wie konzeptionslos der Gesetzestext bisher bei den Studienabschlüssen ist, zeigt sich in dem Wirrwarr der Paragraphen 84, 85, 88 und 90. Von einem Gesetzestext ist eine klarere Sprache zu erwarten (siehe D.2: Verbot von Studiengebühren).