Studienberatung

Der Großteil der Studierenden fühlt sich heute - nach persönlichen Berichten - zu Beginn ihres Studiums und auch in dessen Verlauf weitestgehend allein gelassen. Die Gründe für diesen Eindruck liegen auf der Hand. Die gestiegene Zahl von Studierenden bei gleichzeitiger Stagnation oder Rückführung von Finanzmitteln der Hochschulen führt dazu, daß ein persönliches Betreuungsverhältnis fast nicht mehr möglich ist. Die Zahl der Studierenden pro Lehrendem/Lehrender hat sich drastisch erhöht. Dies führt dazu, daß einerseits Abläufe schematisiert werden mußten, damit sie überhaupt noch bewältigt werden konnten. Andererseits wurde aus dem Beratungsangebot eine bloße »Informationsmöglichkeit«, die - einmal bereitgestellt - von den Studierenden zunächst selbst entdeckt werden mußte, um dann genutzt werden zu können. Hinzu kommt, daß einem Teil der ProfessorInnen die widrigen Umstände ein willkommener Anlaß waren, die ungeliebten Aufgaben im Bereich der Lehre und hier speziell der Studierenden-Betreuung mit dem Hinweis auf die übergroße Zahl von Studierenden auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Daß eine bessere Studienberatung in mehr als einer Hinsicht notwendig wäre, darüber besteht weitgehende Einigkeit. Einmal ist es im Sinne der persönlichen Entwicklung des/der Einzelnen enorm wichtig, möglichst frühzeitig und kontinuierlich eine Resonanz auf die Entwicklung des Studiums und eine Fremdeinschätzung zu bekommen.

Des Weiteren ist es im Sinne der wissenschaftlichen Weiterentwicklung gleichfalls von Bedeutung, den wissenschaftlichen Nachwuchs breit zu betreuen und dies nicht der persönlichen Anbindung von Einzelnen an Einzelne zu überlassen.

Letztlich ist es auch eine Frage der Effektivität, ob es sich die Hochschulen weiterhin leisten wollen, einen nennenswerten Teil der Studierenden mit ihren Problemen und Fragen alleinzulassen. Die völlige Individualisierung der Sorge um den Verlauf des Studiums befördert ein »trial-and-error-Studium« und bedeutet in letzter Konsequenz eine tatsächlich überflüssige Verlängerung der Studiendauer. Hier wäre viel »verlorene« Zeit einzusparen, was auch einen bedeutenden Finanzfaktor darstellt.

Dem Bedarf entsprechend finden sich in allen neueren Gesetzgebungen erweiterte Regelungen zum Thema Studienberatung. Der Inhalt der entsprechenden Paragraphen jedoch hat mehr mit sanktionsbewährter Leistungsüberprüfung als mit tatsächlicher Beratung zu tun. Sinn und Zweck der Studienberatung kann aber keine stärkere Selektion von außen sein. Dies ignoriert, daß die Personen, die ein Hochschulstudium aufnehmen, bereits eigenverantwortlich denkende Erwachsene sind. Noch viel mehr widerspricht Zwangsberatung dem Ziel der Hochschulen, diese persönliche Entwicklung zu fördern und zur Selbstorganisation zu befähigen, was Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit ist. Zum anderen sind durch solche notwendig unzulänglichen Ausleseverfahren keinesfalls effiziente Steuerungsimpulse für den Bereich der wissenschaftlichen Ausbildung zu setzen. Gefördert wird hingegen, wie es für viele aktuelle Entwicklungen gilt, eine Nivellierung der wissenschaftlichen Landschaft. Dringend notwendige Innovationspotentiale außerhalb eines »Mainstreams« von wissenschaftlichen Interessen werden so immer mehr zurückgedrängt.

Die Anforderung an eine wirklich praktikable Studienberatung wären hingegen:

Der Entwurf zum Landeshochschulgesetz NRW verstärkt die Beratungspflicht der Hochschulen. Allerdings entsprechen die Regelungen kaum den genannten Anforderungen. Zwar betont der entsprechende Paragraph 83 in Absatz 1, daß die Beratung während des gesamten Studiums erfolgen soll. Nach Absatz 2 aber orientiert sich die Hochschule »spätestens bis zum Ende des zweiten Semesters über den bisherigen Studienverlauf, informiert die Studierenden und führt gegebenenfalls eine Studienberatung durch.«

Grundsätzlich ist zu begrüßen, daß sich Hochschulen mehr um ihre Studierenden kümmern sollen. Fraglich sind jedoch die gewählten Mittel. Schon generell ist der Nutzen einer Zwangsberatung aus genannten Gründen höchst zweifelhaft. Völlig unmöglich ist es, nach Ablauf von zwei Semestern eine Aussage über Chancen und Erfolgsaussichten eines Studiums zu treffen. Zudem liegen keinerlei Kriterien vor, an denen die Notwendigkeit einer solchen Beratung festgemacht werden könnte. Gerade bei Universitäts-Studiengängen findet die erste verbindliche Leistungsüberprüfung nach vier Semestern mit einem Vordiplom oder einer Zwischenprüfung statt. Bereits diese wurde unter Zwang und gegen den Widerstand von allen Gruppen der Hochschulen eingeführt. Ihre mangelnde Praktikabilität für viele Fachbereiche hat sich inzwischen erwiesen. Eine Prüfung nach zwei Semestern würde die Organisationsfreiheit der Studierenden weiter einschränken. Fast nichts mehr könnte der persönlichen Zeiteinteilung überlassen bleiben.

Prinzipiell ist es einer wissenschaftlichen Ausbildung keinesfalls hinderlich, wenn die ersten beiden Semester weniger zählbare Leistungsnachweise ergeben. Oftmals gehen die entscheidenden Impulse für eine wissenschaftliche Entwicklung und das Selbstverständnis nicht von den bereits kanonisierten Angeboten aus, die meist in den Pflichtkursen behandelt werden.

Zudem führt die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung keinen Schritt weg von der schematisierten, anonymen Beratung. Wieder würden die Betroffenen nach standardisierten Vorgaben beurteilt.

Viel sinnvoller wäre es daher, auf dezentraler Ebene die Beratungsangebote zu verbessern. Hierzu müßten besonders ProfessorInnen stärker, als dies in §45 Abs. 1 der Fall ist, zur Beratung verpflichtet werden. Dies gilt auch und besonders für die vorlesungsfreie Zeit. Die gängige Praxis, ein oder zwei Sprechzeiten während dieser Phase anzubieten, ist unzureichend.

Generell muß gesagt werden, daß alle Maßnahmen zur Verbesserung der Studienberatung ohne eine Verbesserung der Personalausstattung lediglich »politische Lyrik« bleiben.