Die seit den achtziger Jahren wieder stärker gewordene Abschottung der Statusgruppen vor allem an den Universitäten hat nicht unwesentlich zur Reformunfreudigkeit an den Hochschulen und zu internen Lähmungen beigetragen. Berufsständische Strukturen, die kein Ausweis demokratischer Systeme sind, konnten so erhalten bleiben. Dabei ist vor allem die Gruppe der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in der Praxis zunehmend allein auf Lehr- und Verwaltungsaufgaben festgelegt worden. Die Art, in der vor allem das Universitätsgesetz in den letzten Jahren fortgeschrieben worden ist, hat durch die Stärkung der Gruppe der HochschullehrerInnen erheblich zu diesem Prozeß beigetragen.
Durchlässigkeit muß demgegenüber an den Hochschulen wieder stärker von unten möglich werden. Das Landeshochschulgesetz kann dafür den notwendigen politischen Rahmen schaffen und so die Mitbestimmung für den Arbeitsalltag an den Hochschulen fördern, für die Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft eine selbstverständliche Zielsetzung. Die Schritte, die der Referentenentwurf in dieser Richtung geht, bleiben angesichts der Strukturkrise an den Hochschulen ungenügend. Hier herrscht noch immer eine Politik der kleinen Schritte, mit der den Einzelnen aber nur um so mehr abverlangt wird. So ist es zwar zu begrüßen, wenn Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Lehraufgaben »zur selbständigen Wahrnehmung in begründeten Fällen durch den Fachbereichsrat im Benehmen mit den fachlich zuständigen Professorinnen und Professoren übertragen werden« können (bisher war das ohne Lehrauftrag nicht möglich) und solche Lehraufgaben dann »als Erfüllung der Lehrverpflichtung« gelten (§59 Abs. 2); die Begründung indes können viele Wissenschaftliche Mitarbeitende nur wie eine schallende Ohrfeige empfinden: »Hierdurch sollen besonders qualifizierte und motivierte wissenschaftliche MitarbeiterInnen ein höheres Maß an Eigenständigkeit in ihrer wissenschaftlichen Arbeit erhalten.« Sich als WissenschaftlicheR MitarbeiterIn ausgebildet zu haben reicht als Qualifikation für eigenständige wissenschaftliche Arbeit nach solcher Erklärung offensichtlich nicht mehr aus. Gegen derartige Disqualifizierungstendenzen sei dann einmal festgestellt: Motivation und Kreativität lassen sich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das der Qualifikation der betreffenden Gruppe von Hochschulangehörigen Hohn spricht, nicht schaffen. Eine entsprechende Argumentation kann man für die Neuerungen führen, mit denen die Stellung der Wissenschaftlichen AssistentInnen verbessert werden soll (§ 56).
An der Stellung der Wissenschaftlichen Hilfskräfte (§ 61) und der Studentischen Hilfskräfte hat sich gleich gar nichts geändert, was die in den letzten Jahren zunehmend sichtbaren Probleme (Zugehörigkeit zur Sachmittelgruppe und daraus resultierende schwache soziale Absicherung, Rechtlosigkeit und Ausbeutung; demgegenüber die Forderung nach einem Tarifvertrag) in diesem Bereich völlig unberücksichtigt läßt. Demokratische und sozial verantwortliche Bildungspolitik muß sich an dem messen lassen, was sie für diejenigen durchsetzt, die in der Hierarchie der Hochschulen ganz unten stehen.
Gesetzliche Regelungen, welche die Stellung der nicht-professoralen Gruppen stärken und so die im Referentenentwurf aufgestellten Forderungen nach Eigenständigkeit und Selbstverantwortung nicht länger nur Lippenbekenntnisse bleiben lassen, sind die bei allen Deregulierungsbemühungen unverzichtbare Grundlage dafür, daß die Hochschulen effizienter arbeiten können. Langfristig effizient läßt sich dort, wo Innovation ,erzeugt' werden soll, nur handeln, wo zugleich eine Struktur der Durchlässigkeit, der Demokratisierung, der Partizipation sowie der individuellen und sozialen Entfaltung geschaffen wird. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang zusätzliche Reformanstrengungen, die eine weniger ständische und mehr an Inhalten orientierte Praxis etablieren helfen müssen. Die Durchlässigkeit zwischen den Statusgruppen zu erhöhen trägt zur Enthierarchisierung der Hochschulen bei und schafft so einen Raum, in dem inhaltliche Leistung sich endlich 'lohnen' wird, womit dann allerdings deutlich anderes gemeint ist, als es der ökonomistisch eingeschränkte Leistungsbegriff und der darauf sich beziehende Slogan konservativer Politik meint. Die inhaltliche Perspektive ermöglicht sinnvoll und selbstverantwortet erfahrene Arbeit, die alle künstlich geschaffenen Anreizsysteme zur Leistungssteigerung überflüssig macht. Mehr noch: Sie läßt solche Anreizsysteme als die Fortsetzung einer falschen, auf Wirtschaftsliberalismus verkürzten Politik erkennen.
Ein Beispiel dafür, wie verschiedene Problemstände in einer über den Referentenentwurf hinausgehenden Reformanstrengung zu verknüpfen sind, sei hier angeführt. Es skizziert wirklich reformerische Regelungen für die Gruppe der Wissenschaftlichen AssistentInnen, deren Stellung im ,Dazwischen' heute darum nicht produktiver ist, weil in einer undurchlässigen Struktur jede Stellung zwischen den Gruppen schnell zu einem Nirgendwo wird. Wenn dann an entscheidenden Stellen auch die soziale Absicherung zum Problem wird, erhöht das die Unattraktivität eines an sich äußerst interessanten Berufsfeldes. So gehören Nachwuchssorgen in vielen Fächern heute schon zum Arbeitsalltag - das allerdings geht dann gleich doppelt zu Lasten der Qualität von Forschung und Lehre.
Die Öffnung im Bereich der Habilitation als Voraussetzung für die Berufung zum ProfessorInnenamt ist im HG NW zaghaft ausgefallen (vgl. § 46 Abs. 1); »auf die Habilitation als Regeleinstellungsvoraussetzung für Professorinnen und Professoren« werde »verzichtet und damit der Nachweis zusätzlicher wissenschaftlicher Leistungen von Stellenbewerberinnen und Stellenbewerbern offener gestaltet«, führt der Kommentar dazu aus. In der entfachten Diskussion um den Sinn des Habilitationsverfahrens im Vergleich mit anderen europäischen Regelungen wird hier der Weg einer vorsichtigen Aufweichung bisheriger Regelungen gewählt, gerade auch vor dem Hintergrund der Zusammenfassung von UG und FHG. Was wichtiger ist, die neue Regelung vermag das grundlegende Strukturproblem für die Betroffenen nicht zu lösen. Damit das soziale Risiko für angehende AssistentInnen berechenbarer wird und zugleich verstärkt Frauen für diesen Qualifizierungsschritt gewonnen werden können (die Frauenquote fällt hier heute wegen der starren Bindung von Qualifikationsschritten und Lebensabschnitten in Verbindung mit beamtenrechtlichen Regelungen deutlich ab), bedarf es einer weitgehenden Umstrukturierung im Bereich des Wissenschaftlichen Nachwuchses.
Mit dem einfachen Abschaffen der Habilitation, wie es oft gefordert wird, sind die Probleme keineswegs schon gelöst. Denn es gibt Fächer, in denen gerade die Habilitationen noch immer eine Art Zusammenschau ermöglichen, die in anderen Forschungssegmenten nicht geleistet wird, und die damit eine wichtige Funktion innerhalb der Forschungslandschaft dieser Fächer haben. Dafür daß die Qualifikation als Hochschullehrende über die Durchführung und Leitung von Projektarbeiten erfolgen könnte, lassen sich mehrere gute Gründe anführen. Statt eine isolationistische, zur Undurchlässigkeit anhaltende Arbeitsweise zu forcieren, würde man mit derartigen Habilitationsleistungen teambezogene Formen der Arbeitsorganisation stärken, den Zusammenhang von Forschung und Lehre zur alltäglichen Erfahrung der weiteren wissenschaftlichen Qualifikation machen und Studierende so an die Forschung heranführen. Der Zusammenhang von Innovation und sozialer Verantwortung könnte damit zur Praxis des Hochschulalltags werden. Deregulierung könnte hier also bedeuten, daß der Gesetzgeber verschiedene Wege, die zur Qualifizierung der Hochschullehrerin und des Hochschullehrers führen, als gleichwertige ausweist, den einzelnen Fachbereichen dann für ihre Habilitationsordnung die jeweils bevorzugte Modalität als Wahl zwischen festumschriebenen und dadurch vergleichbaren Wegen freistellt. Den zahlreichen Vorschlägen, die zum Thema Habilitation inzwischen in der Debatte sind, kommt der Referentenentwurf in keiner Weise nach.
Ein wichtiges Moment sollte dabei die soziale Problematik sein. Noch immer werden WissenschaftlerInnen ausgebildet, die am Ende eines langen Bildungsweges nicht selten in die Sackgasse eines verschlossenen Arbeitsmarktsegments laufen. Ein neues Hochschulgesetz könnte diese auch volkswirtschaftlich untragbaren Zustände beheben helfen. Denkbar wäre etwa, eine Absicherung für diejenigen festzuschreiben, die die weitere Qualifizierungsstufe Habilitation aus einem Arbeitsverhältnis an der Hochschule anstreben; eine solche Absicherung müßte auf der zuvor bereits erlangten Qualifizierungsebene erfolgen. Wo die Betroffenen über eine Akademische Rats- oder eine Studienrat-im-Hochschuldienst-Stelle abgesichert wären, von hier aus einen Antrag auf eine befristete Entlastung im Bereich der Lehre für die Abfassung einer Habilitationsschrift stellen könnten (eine strukturell wichtige Voraussetzung für Übersichtsarbeiten) und beim Nichterreichen dieses weiteren Qualifikationsziels wieder auf die Rats- oder Studienrats-Stelle übernommen würden, schüfe man Anreize und Möglichkeiten, die wissenschaftliche Biographien nicht nur berechenbarer, sondern auch lebenszeitlich individueller gestaltbar machten und so die Arbeit der Gesamteinrichtung dynamisieren könnten. Das wäre eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg zur Erhöhung des Frauenanteils in den gehobenen Positionen der Hochschulen. Orientiert an der Größe eines Fachbereiches und am mittelfristigen Arbeitsmarktbedarf, würde ein Fachbereich statt der bisherigen AssistentInnenstellen Weiterqualifizierungsstellen zugewiesen bekommen, die er mittels Fachbereichratsentscheidung besetzen kann. Wird eine Weiterqualifizierungsstelle mit einer/einem Wissenschaftlichen MitarbeiterIn besetzt, steht die auf Zeit frei werdende Stelle für ein befristetes Arbeitsverhältnis oder für Ausbildungsarbeitsverhältnisse (Wissenschaftliche Hilfskräfte, DiplomandInnen, DoktorandInnen) zur Verfügung. So ließe sich die Durchlässigkeit der Ebenen über die geänderte Arbeitspraxis vergrößern. Grundvoraussetzung für die Durchführbarkeit eines derartigen Weiterqualifizierungsmodells bleibt aber, daß die in den letzten Jahren auf den Kopf gestellte Pyramide hinsichtlich der Verteilung von Mittelbau- und Professorenstellen, wieder in die stabilere Lage zurückgesetzt wird. Die Hochschulen brauchen eine Verstärkung eines eigenständig forschen und lehren dürfenden Mittelbaus; nachgedacht werden sollte einmal über die Zurückführung der Zahl schlecht ausgestatteter ProfessorInnenstellen. Was die Zahl der Professuren und deren Funktion im Wissenschaftsbetrieb betrifft, könnte sich die Reform des deutschen Hochschulsystems durchaus einmal an der Praxis englischer Universitäten orientieren. Über Forschung qualifizierte Wissenschaftliche Mitarbeitende an deutschen Hochschulen den Senior Lecturers vergleichbar zu stellen, wäre ein wesentliches Moment der Verstetigung wissenschaftlichen Arbeitens über eine Grundqualifikationsphase hinaus.
Große Bedeutung für die innere Durchlässigkeit in den Hochschulen kommt der Beteiligung von Studierenden an der Forschung zu. Wo immer es möglich ist, muß die Lehre den Zusammenhang mit der Forschung herstellen, gerade auch in der Weise, daß Studierende sich nicht als Kunden, sondern als aktiv mitgestaltenden Teil der Hochschulen erfahren können. Das erfordert speziell zu gestaltende Studienprojekte, welche die Seminare teilweise ersetzen. Wissenschaftliche Praxisbezüge, eine Anwendungsbezogenheit der Lehre und die bessere Reaktion auf sich ändernde Anforderungsprofile, dann die Förderung sozialer Arbeitsformen, die inhaltliche und schwerpunktmäßige Ausrichtung des Studierens, individuellere Betreuungsmöglichkeiten, das sind nur einige der Vorzüge von Studienprojekten. Für die Projektarbeit sind darum zusätzliche Mittel bereitzustellen.