Hochschulzugang

Das gegenwärtige System der Zugangsberechtigung zu akademischen Einrichtungen besteht schon seit über 150 Jahren. Mit den preußischen Reformen des Hochschulwesens Anfang des 19. Jahrhunderts ging eine Reform der Schule einher, die das Abitur vereinheitlichte und zur Voraussetzung für ein Studium machte. Zuvor führte jede Hochschule nach eigenem Ermessen Auswahltests unter den Bewerbern durch. Bis auf den heutigen Tag hat sich an der damals getroffenen Regelung nicht viel geändert. Allerdings wurde in den siebziger Jahren, gespeist aus wachsendem Unmut über die Reformunfähigkeit des Bildungssystems und dem steigenden Bedarf nach höherqualifizierten Arbeitskräften, die Oberstufe neu geordnet. Der Pflichtanteil von Kursen wurde zugunsten einer höheren Wahlfreiheit herabgesetzt. Das feste Klassensystem mit Haupt- und Nebenfächern durch relativ frei kombinierbare Grund- und Leistungskurse ersetzt. Im Zusammenhang mit dieser unter den Stichworten »Wahlfreiheit« und »Schwerpunktbildung« zusammenzufassenden Reform wurde auch die integrierte Gesamtschule von öffentlicher Seite gefordert und gefördert. Sie sollte gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem für mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit sorgen.

Auf der Seite der Hochschulen wurde mit ganz ähnlicher Motivation das Konzept der Gesamthochschule entwickelt. Auch hier stand die Zusammenfassung »theoretischer« und »praktisch orientierter« Bildungselemente im Vordergrund (siehe A.3: Annäherung statt Wettbewerb). Dieser »ersten Bildungsreform« entsprach die Öffnung der Hochschulen, sowie die Abschaffung von Studiengebühren, der sogenannten »Vorlesungsgelder«. So sollte speziell Jugendlichen aus sozial schwachen Familien das Studium ermöglicht werden. Genau in diesem Zusammenhang stand auch die Einführung des BAföG.

Die heutige Situation ist geprägt von einem ganz anderen Klima. Etwa 1,8 Millionen Studierende sind an den deutschen Hochschulen eingeschrieben. Vielerorts sollen Fachbereiche seit Jahrzehnten eine Überlast bewältigen, die bei bis zu 200 % liegt. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Entscheidung der damaligen sozial-liberalen Regierung Schmidt, Ende der siebziger Jahre den Hochschulausbau zu beenden. Man nahm dabei bewußt in Kauf, daß die bis dahin bestehenden Kapazitäten in den folgenden Jahren nicht alle Studierwilligen würden aufnehmen können. Als Grund wurden die geburtenschwachen Jahrgänge angegeben. Von denen erhoffte man sich eine deutliche Entlastung, weniger AbiturientInnen. Man wollte »den Studentenberg untertunneln« - eine Fehlkalkulation, wie sich herausstellte. Mittlerweile strebt ein bedeutend höherer Anteil eines Jahrgangs eine akademische Ausbildung an. Dadurch wurde der Effekt der rückläufigen Geburtenziffern mehr als ausgeglichen. Heute ist es daher fast ein geflügeltes Wort geworden, daß die solchermaßen »untertunnelten« Hochschulen über kurz oder lang zusammenbrechen werden. Schätzungen gehen davon aus, daß mit dem heutigen Bildungsbudget von Bund und Ländern nur für die Hälfte der Studierenden tatsächlich ein Studienplatz zur Verfügung steht. Dementsprechend restriktiv wird inzwischen der Zugang beschränkt. Zahlreiche Studiengänge haben inzwischen einen Numerus Clausus mit einer Eins vor dem Komma. Das »Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife« allein berechtigt also noch zu gar nichts. Zum Teil wird der Numerus Clausus mittlerweile auch ganz bewußt als Instrument zur Schrumpfung von Hochschulen eingesetzt. Ungeliebte Fachbereiche können mit einer hohen Zugangsberechtigung so geleert werden, daß ihre Aufrechterhaltung schließlich nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Dies zeigt deutlich, daß - entgegen dem historischen Ablauf - heute kaum noch von einer Unterfinanzierung der Hochschule gesprochen wird, sondern nur noch von einer Überfüllung. Es gibt zu viele Studierende, so die landläufige Meinung. Diese Einschätzung steht in Wechselwirkung zu einem immer mehr ökonomisierten Bildungsbegriff (siehe A.2: Eindimensionalität). Die Folgen daraus sind weitere Beschneidungen des Hochschulzugangsrechts. Prominentestes Beispiel ist hier die immer wieder geschürte Diskussion um die Einführung von Studiengebühren (siehe D.2: Studiengebühren). Daneben sind aber auch neue Selektionsmechanismen zu beachten. Die Regelung des neuen Hochschulrahmengesetzes sieht zum Beispiel vor, daß Hochschulen zukünftig 20 % der BewerberInnen in N.C.-Studiengängen selbst auswählen dürfen, unabhängig von der Abiturnote.

Diese Maßnahme bedeutet den vorläufigen Höhepunkt des Abrückens von egalitären Ansätzen der Bildungspolitik. Die soziale Selektion wird durch persönliche Auswahltests noch weiter verstärkt. Das ist schon verfassungsrechtlich bedenklich (Art. 12 GG - freie Wahl der Ausbildungsstätte). Besonders im Zusammenhang mit der leistungsbezogenen Finanzierung der Hochschulen bedeutet dies einen weiteren Schritt weg von egalitärer Bildungspolitik. Hochschulen werden sich die Klientel aussuchen, die potentiell am schnellsten ihr Studium beendet, also diejenigen mit starker finanzieller Rückendeckung.

Dies ist weder in ökonomischer noch in demokratischer Hinsicht sinnvoll. Vergleicht man den Anteil von Studierenden pro Jahrgang hierzulande mit anderen Volkswirtschaften, so ist liegt Deutschland am unteren Ende der Tabelle. Gleiches gilt für die staatlichen Bildungsausgaben in Relation zum Brutto-Sozial-Produkt. Fast alle WirtschaftswissenschaftlerInnen sind sich aber einig, daß in Zukunft bei einem weiteren Ausbau qualifizierter Dienstleistungen eher mehr AkademikerInnen gebraucht werden als weniger. Noch zentraler ist jedoch die Frage, wie sich ein demokratischer Staat weiterentwickeln soll, wenn er den Bereich vernachlässigt, der die Kritikfähigkeit und das Verantwortungsbewußtsein jeder/jedes Einzelnen prägt: die Bildung.

Anforderungen an ein im Sinne gesellschaftlicher Entwicklung effizientes Bildungssystems wären im Bereich des Hochschulzugangs also:

Die Kompetenzen, solche Maßnahmen umzusetzen, liegen zum überwiegenden Teil beim Bund. Dementsprechend äußert sich der Referentenentwurf in § 66 zur Qualifikation nur im Rahmen der Bundesgesetzgebung. Allerdings sollte das Landeshochschulgesetz einen Passus enthalten, der für Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit hochschulinterner Auswahlverfahren ausschließt. Der Referentenentwurf nennt die Möglichkeit, über dem Abitur »gleichwertige Qualifikationen« Zugang zur Hochschule zu erlangen. Nähere Ausführungen macht das Gesetz hier nicht. In jedem Fall sollte sichergestellt werden, daß nicht nur berufsqualifizierende Leistungen unter diese Kategorie fallen, sondern auch beispielsweise ehrenamtliche Tätigkeiten Berücksichtigung finden. So kann zum Beispiel das Engagement in politischen, karitativen Organisationen oder in didaktischen Feldern durchaus nötige Sachkenntnisse vermitteln, die für ein Studium in speziellen Studiengängen (Politikwissenschaft, Pädagogik, Sportwissenschaft etc.) viel eher befähigen als das Abitur.

Insgesamt gilt: Ein gesellschaftlich verantwortetes Bildungssystem muß öffentlich finanziert werden. In einem öffentlich finanzierten Bildungssystem muß der Zugang öffentlich geregelt werden. Nur ein öffentlicher Zugang garantiert auf Dauer die gesellschaftliche Anbindung.