Das Gefüge der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen ist im Rahmen des föderalistischen Konzepts der BRD dezentralisiert angelegt worden. Nach den Erfahrungen mit der Zentralisierung der Hochschulpolitik durch den nationalsozialistischen Staat und der damit verbundenen Zerstörung der Basis der akademischen Selbstverwaltung ist sie nicht Bundes-, sondern Ländersache geworden. Dieser Grundsatz ist im Grundgesetz verankert, um die Autonomie des Bildungssystems zu stärken und einem Staatsinterventionismus vorzubeugen, der sich des Bildungs- und Wissenschaftsprozesses bemächtigen könnte. Mit einer Regionalisierung des Hochschulsystems kann diese Autonomie noch weiter gestärkt werden.
Die kritische Funktion, die Bildung und Wissenschaft auszeichnet, wird in der Regel durch Bürokratie, Zentralismus und Ökonomisierung unterbunden. Das Potential zur Überwindung von Herrschaft, indem Menschen in die Lage versetzt werden, sich von verinnerlichter Fremdbestimmung und dogmatischen Herrschaftsideologien zu emanzipieren, liegt gegenwärtig brach. Unter den Bedingungen der Globalisierung wird der traditionelle Wissenschaftsbetrieb zu einem "weichen Standortfaktor" umdefiniert. Davon verspricht man sich, Studium und Lehre noch enger mit der Wirtschaft verzahnen zu können, also möglichst gute Kapitalverwertungsbedingungen dafür zu schaffen, damit der "Standort" als Sieger aus dem globalen Wettbewerb hervortreten kann. Die Hochschulen werden zu "standortgerechten Dienstleistungshochschulen" und geraten in Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem. Das gefährdet nachhaltig den Autonomieprozeß und die kritische Funktion des Hochschulsystems.
Die Verträge von Maastricht und Amsterdam betrachten Bildung nicht mehr als nationale, sondern als europäische Angelegenheit, allerdings auch nur als bloßes Anhängsel von Wirtschaftsförderung, die ausschließlich auf "Humanressourcen" Wert legt. Arbeitsmarktorientierung darf aber nicht gegen den integrativen Forschungsbezug in der Lehre und gegen den gesellschaftlichen Praxisbezug ausgespielt werden. Eine umfassende europäische Bildungspolitik bedarf als Pendant regionaler Bezugspunkte.
Es gibt in der vorherrschenden Reformdebatte zwei Regionalisierungsstrategien: eine durch Deregulierung erzwungene Regionalisierung und eine demokratische Regionalisierung. Erstere führt zu einer Restaurierung eines traditionellen mehrgliedrigen Hochschulsystems, auf das Staat, Kapital und ExpertInnen per Hochschulmanagement technokratisch zugreifen können. Die letzere wird hingegen von Anstrengungen in Richtung demokratische Mitbestimmung von Studierendenschaften, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie den Frauen- und Umweltverbänden begleitet. 1997 gab es breite Studierendenproteste gegen das mikro-ökonomische Hochschulmanagement, das heute das Verhältnis Staat-Hochschule-Gesellschaft zunehmend restriktiv bestimmt. Bildungspolitik darf nach Auffassung der Protestierenden nicht dazu gebraucht werden, Bildungsinstitutionen durch betriebswirtschaftlich determinierte Strukturen zu ersetzen. Nicht die Frage: Wie viele Lernende braucht diese Gesellschaft? ist entscheidend, sondern: Wie kann der Zugang zum Lernen für alle grundsätzlich weiter geöffnet und offen gehalten werden?
Mit dem Label der Regionalisierung wird heute oft nur die zunehmende Mängelverwaltung an den Hochschulen kaschiert. Studiengänge werden ausgedünnt, verschlankt, zusammengelegt, benachbarte Hochschulen müssen ihr Studienangebot zunehmend so aufeinander abstimmen, daß keine Parallelangebote entstehen. Neue Studiengänge werden nicht in erster Linie inhaltlich, sondern nur noch unter Kostengesichtspunkten gestaltet. Von Studierenden und Lehrenden wird zunehmend eine Mobilität verlangt, die vor allem deswegen keinen Sinn macht, weil sie die Konzentration auf das Studium oder die Lehre noch stärker einschränkt, als dies bislang schon der Fall ist. Wenn die Mehrzahl der Studierenden jobben muß, um das Studium zu finanzieren: warum dann auch noch diese »Teilzeitstudierenden« zwischen zwei oder drei Hochschulstandorten pendeln lassen? Wenn die Mehrzahl der Lehrenden aufgrund der Personalentwicklung an den Hochschulen in Lehre und Forschung überlastet sind: warum dann die verbleibende Kapazität unnötig aus den Instituten abziehen?
Eine Alternative besteht in der demokratischen Regionalisierung der Hochschulen. Sie hat das Ziel, die Bildungsangebote zu öffnen und Lehre wie Forschung mit ihrer Organisation zu integrieren. Maßgeblich ist dafür die gleichberechtigte Mitbestimmung aller AkteurInnen und die Schaffung von neuen Freiräumen, um auf diese Weise die breite Verankerung der Hochschulen in der Region, das Bildungsprofil von Hochschulen und damit die kritische Funktion der Hochschulausbildung zu revitalisieren.
Wenn die ständisch eingeengte Hochschulstruktur nicht weiterhin blind gegenüber globalen, sozialen und ökologischen Erfordernissen arbeiten will, dann muß sie auch rahmenrechtlich, d.h. über Hochschulentwicklungspläne und Haushaltsplanungen, näher an der Region verankert werden. Dabei darf nicht der Status quo zementiert werden, wie es mit den vorhandenen Hochschulkuratorien passiert, sondern Ziel muß es sein, den gleichen Zugang zu Forschung und Technologie auch durchzusetzen. Dazu gehört, daß neben dem Ausgleich der Machtinteressen zwischen Staat, Kapital und wissenschaftlichem ExpertInnentum auch neue Impulse aus der Gesellschaft kommen, nämlich für die Gleichstellung der Geschlechter, für Umweltschutz, für mehr BürgerInnenbeteiligung, für die Förderung von Wissenschafts- und Technologiekritik und für die Schaffung neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze (siehe B. 2: Kuratorium).
Interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeits-, Lehr- und Lernzusammenhänge und solche, die zwischen Forschung und beruflicher Praxis vermitteln, gelingen nur in Konstellationen, in denen die KommunikationspartnerInnen sich für die Materie des Gegenübers ebenso wie Fachleute und Laien für das gemeinsame Dritte, das erst Resultat der Kooperation sein soll, interessieren. Der bisher vernachlässigte Transfer von praktischem Erfahrungswissen, Problembewußtsein, spezifischen Kompetenzen in Hochschulfachbereiche und Studiengänge hinein kann mit der regionalen Organisation von Ausbildungsgängen, Forschungspraktika, mit der Konfrontation von BürgerInnen- und ExpertInnengutachten sowie mit der regelmäßigen Auswahl und Einbeziehung in fachwissenschaftliche Praxis- und Berufsfelder gestärkt werden.
Diese neuen Aufgabenzuschreibungen übersteigen die Funktionalität der herkömmlichen Beteiligungsformen im Wissenschaftsbetrieb. Das praxisrelevante Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft, die Öffnung der Hochschulen als Kooperationsfeld von Bildungs- und Forschungsbereichen mit BürgerInnenbewegungen, Berufsverbänden und Gewerkschaften kann in sogenannten "Hochschulregionalkonferenzen" erfolgen (für NRW etwa 3 bis 5). So läßt sich die staatliche Zentralsteuerung durch zweckrationale Detailsteuerung ergänzen. Zugleich ermöglicht das die institutionell abgesicherte Selbstreflexion der Vertretungen von Staat, ExpertInnentum, Kapital und Nichtregierungsorganisationen.
Die Hochschulregionalkonferenzen sollen
mehrere Hochschulen regional vernetzen,
die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft in der Region mit Studien-, Lehr- und Forschungsleistungen sicherstellen,
Beteiligungsansprüche, Mitwirkungs- und Verfahrensrechte nach Grad an Betroffenheit und Lern- und Forschungsbeteiligung realisieren und
den Abbau von staatlich-bürokratischer Überregulierung durch gesteuerte regionale Demokratisierung ermöglichen.
Einer Hochschulregionalkonferenz gehören an: von der Ministerin oder dem Minister für Wissenschaft und Forschung benannte ständige VertreterInnen aus dem Ministerium; Mitglieder aus allen im Landtag vertretenen Fraktionen; Mitglieder aller Statusgruppen der Hochschulen der Region; VertreterInnen aus Kommunalvertretungen der Region; VertreterInnen aus den ArbeitgeberInnenverbänden der Region; VertreterInnen aus den Gewerkschaften der Region; Vertreterinnen für Gleichstellungsfragen aus den Hochschulen der Region; VertreterInnen für Umweltbelange. Die genaue Zusammensetzung der Hochschulregionalkonferenzen orientiert sich an den jeweiligen regionalen Spezifika.